16. März 2012
Marbella (Spanien), 16. März 2012 - In 60 Jahren kamen vom Mercedes SL bisher nur fünf Generationen zusammen. Jetzt ist die sechste Auflage der langlebigen Roadster-Reihe da. Wir nehmen uns den neuen Aluminium-Wagen als SL 500 mit zwei Fahrwerksvarianten zum Test vor.
Ein bisschen Zier
Optisch ist der SL kantiger geworden und sein vorderer Überhang ist über die letzten Generationen gewachsen - bei Mercedes hat man noch Bock auf ordentliche Nasen. Das Design ist allerdings stimmig und ob es gefällt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Was uns stört: Die Entlüftungs-Kiemen an den vorderen Kotflügeln sind rein optischer Natur - die Gitter sind geschlossen. Jedem Technikverliebten blutet bei solch reinem Zierrat das Herz. Aber das für Mercedes wirklich Sensationelle ist unter der Haube passiert.
Leichter durch Aluminium
Nach dem Supersportwagen SLS AMG ist der neue SL der zweite Mercedes, der auf einen reichhaltigen Einsatz von Aluminium setzt. Allein durch diese Maßnahme wurde der SL 500 gegenüber seinem Vorgängermodell um 110 Kilogramm leichter - insgesamt wurden beim SL 125 Kilogramm rausgeholt. Aber auch wenn SL seit jeher für "Sport Leicht" steht, geht es hier nun mal um Luxus - und Luxus gleich fette Ausstattung gleich 1,7 Tonnen Druck auf der Waage.
Innen geschmackvoll
Kann man sich über das Außendesign des neuen SL noch trefflich streiten, so ist der Innenraum zweifellos ein großer Wurf. Die üppig dimensionierten Triebwerkslüftungs-Düsen schauen die Insassen genauso friedfertig an wie die beinahe schon niedliche Uhr (238 Euro), die unter einem spitz zulaufenden Sonnenschutz auf dem Armaturenbrett sitzt. Alles Holz und das ganze Leder wurden ausgesucht sauber verarbeitet und perfekt in die Kabine eingepasst - optische Hartplastikbrüche sind nicht zu finden.
160 Wasser-Düsen
Mercedes lässt im SL wieder interessante Neuerungen wirken. Zum einen sind da die perforierten Scheibenwischer-Blätter: Das Wischwasser strömt jetzt aus 160 direkt im Wischer sitzenden Düsen. Bei geöffnetem Dach wird der Wasserdruck abgesenkt, damit es innen nicht zu nass wird. Nur der Name des Systems klingt mit "Magic Vision Control" etwas überkandidelt. Zum anderen gibt es jetzt das Frontbass-System. Hier dienen Hohlräume im vorderen Längsträger als Resonanz-Raum für die Basswiedergabe, der Fußraum wird zum Schalltrichter. Die Technik ist serienmäßig mit dabei. Allerdings vermissen wir auch etwas: ein Head-up-Display. BMW schraubt mit dem System, welches fahrrelevante Daten vor dem Fahrer in die Frontscheibe projiziert, seit Jahren die Kundenzufriedenheit hoch. Audi hat sich nach langer Zeit der Ignoranz ebenfalls zum Einbau von Head-up-Displays durchgerungen. Bei Mercedes fehlt diese superkomfortable Ausstattung noch immer.
Mit Fuß-Zu
Das üppige Ledergestühl des SL ist für die lange Strecke gemacht, bietet aber auch Seitenhalt. Der optionale Luftschal namens Airscarf (655 Euro), den Mercedes weltweit als Erstes im Vorgänger-SL eingeführt hat, ist von seiner maximalen Power her im Vergleich zu Konkurrenz-Systemen immer noch ein wenig mau. Neuigkeiten gibt es von ganz hinten: Der Kofferraum lässt sich jetzt im Rahmen des optionalen Keyless-Go-Pakets (1.827 Euro) mit einer Fußbewegung unter dem Heck öffnen - und auch schließen. Falls das Wagendach geöffnet ist, hebt sich das zu diesem Zeitpunkt im Kofferraum befindliche Dach zum einfacheren Beladen an - und zwar deutlich höher als bisher. 364 Liter Gepäck können bei geöffnetem Dach mitkommen. Schließt sich die Mütze, stehen 504 Liter zur Verfügung. Komfortabel: das per Knopfdruck senkrecht ausfahrende Windschott (595 Euro), welches die Zugluft beim offenen Fahren ordentlich in Schach hält.
Fahrwerks-ABC
Der SL-Kunde kann zwischen drei Fahrwerken wählen: dem Serienfahrwerk, dem Sport-Fahrwerk und dem so genannten ABC-Fahrwerk. ABC steht für Active Body Control und soll für ein aktives Ausgleichen von Bodenunebenheiten und Seitenneigungen sorgen. Alle Fahrwerke lassen sich zwischen den Modi "Comfort" und "Sport" verstellen. Wir haben das Serienfahrwerk und das ABC-System getestet. In der Serie lässt das Fahrwerk den Roadster sehr weich schweben - mit allem was dazu gehört. Und das wären eben auch spürbares Wanken in den Kurven und heftiges Aufschaukeln bei kurzen Bodenwellen. Bei dieser Abstimmung stand anscheinend amerikanischer Geschmack im Vordergrund. Allerdings ist im Serien-Komfort-Modus auf halbwegs vernünftigen Straßen auch nach 1.000 Kilometer Fahrt noch ein erfrischtes Aussteigen möglichen. Die Lenkung ist in diesem Modus ganz knapp vor "zu weich". Im Sportmodus fällt das Wanken und Schaukeln etwas dezenter aus, bleibt aber auf jeden Fall spürbar. Auch das Lenken geht nur etwas straffer von der Hand.
Aktiv sein
Das ABC-Fahrwerk kommt für 3.511 Euro in den SL. Bei dieser Technik werden Bodenunebenheiten aktiv ausgeglichen. Unsere Meinung: Das ABC-System ist auf jeden Fall eine klare Alternative zum Serienfahrwerk. Wanken und Schaukeln werden sowohl im Komfort- als auch im Sportmodus weitestgehend negiert. Auch hier macht der Komfort Lust auf Weltreisen. Das Sportfahrwerk ist ausschließlich im Rahmen des 6.962 Euro teuren AMG-Sportpakets zu haben. Alle drei Fahrwerke profitieren vom supersteifen Aluminium-Aufbau des SL. Und Dachsysteme gibt es genauso viele wie Fahrwerke. Serienmäßig schützt lackiertes Blech die Insassen. Für 833 Euro gibt es das Panorama-Glasdach und wer 2.975 Euro investiert, bekommt die Magic Sky Control. Damit lässt sich die Dachtransparenz per Knopfdruck regeln - das System reagiert im Test sehr schnell. Alle drei Systeme setzen auf einen ultraleichten Aluminium-Rahmen und bei allen drei Systemen dauert das Öffnen beziehungsweise Schließen 20 Sekunden.
Keine Angst vorm Drehmoment
Von wegen der V8 ist tot: Im SL 500 werkelt noch einer. Und was für einer: Aus knapp 4,7 Liter Hubraum bollern unter Turbodruck 435 PS. Imposant ist das maximale Drehmoment: 700 Newtonmeter vergreifen sich bereits ab 1.800 U/min an der Kurbelwelle. Bis zu 3.500 U/min liegt das Monstermoment an. Aber niemand muss sich beim Beschleunigen vor einem brachialen Schlag in den Nacken fürchten: Der Anzug geht zwar extrem druckvoll vonstatten, aber trotzdem schön gleichmäßig und komfortabel. Dabei grummelt das moderne Aggregat anheimelnd vor sich hin. Außenstehende und hinter dem SL Fahrende haben am meisten von dem Kraft-Sound. In 4,6 Sekunden düst die große Flunder auf Tempo 100, bei 250 km/h wird klassenbewusst abgeregelt.
Start-Stopp in Serie
Die Einteilung der Gänge übernimmt im SL 500 grundsätzlich eine Siebengang-Automatik. Dieser wurde von den Ingenieuren eine beinahe unmerkliche Vorgehensweise antrainiert: Sauber fließen die Stufen dahin, nie kommt es zu einem Schaltruckler oder zu hektischer Suche nach dem richtigen Gang. Alle neuen SL-Modelle bekommen serienmäßig ein Start-Stopp-System. Dieses dämpft die Gier nach Sprit besonders dort, wo Motoren wegen vieler Tempowechsel am durstigsten sind: in der Stadt. Als Normverbrauch gibt Mercedes für den SL 500 9,1 Liter pro 100 Kilometer an. Für einen 435-PS-V8 in einem Komfortschiff ist dies knauserig.