4. April 2012
Konstanz, 4. April 2012 - Ehrlich, wir sind unschuldig, es ist tatsächlich einem Mercedes-Mann herausgerutscht: Der E 300 Bluetec Hybrid fährt wie eine Seifenkiste, manchmal zumindest. Werbeleuten ist dieser Vergleich sicherlich ein Graus, aber er illustriert treffend die neue Hybridfunktion "Segeln Plus". Das neueste Hybridmodell der Stuttgarter kann bei ausgeschaltetem Dieselmotor vor sich hin rollen, solange es die Strecke eben hergibt - ohne dabei einen Tropfen Diesel zu verbrauchen. Was das bringt und wie sich der E 300 Bluetec Hybrid sonst schlägt, haben wir im Hügelland zwischen Stuttgart und Konstanz mit einem T-Modell ausprobiert.
Mehr als ein kleiner Bruder
Erster spontaner Gedanke: Nun ja, die haben jetzt den Hybridantrieb aus der S-Klasse in die E-Klasse verpflanzt, allzu große Unterschiede sind da nicht zu erwarten. Irrtum: In der E-Klasse gibt es eine neue Lithium-Ionen-Batterie, die zwar fast genauso aussieht wie jene in der S-Klasse, aber nicht mehr von Continental stammt, sondern im eigenen Hause gefertigt wird. Und es gibt ein neues Hybridmodul: Es sitzt dort, wo sich normalerweise der Wandler zwischen Motor und dem Automatikgetriebe befindet. Hybridmodul und Getriebe beanspruchen nur 65 Millimeter Bauraum mehr als die 7G-Tronic-Plus allein. Kern des Hybridmoduls ist der Elektromotor mit 20 kW und 250 Nm, welche beim Beschleunigen dem Vierzylinder-Dieselmotor mit 150 kW (204 PS) unter die Arme greifen. Statt eines hydraulischen Drehmomentwandlers wie in der Hybrid-S-Klasse hat die E-Klasse eine nasse Anfahrkupplung, mit der sich Dieselmotor komplett abtrennen lässt - Voraussetzung für das "Segeln".
Segeln oder Segeln Plus
Daimler unterscheidet beim E 300 Bluetec Hybrid zwischen dem normalen Segeln und dem "Segeln Plus". Im Normalbetrieb segelt das Fahrzeug immer dann, wenn man es ausrollen lässt, oder bergab rollt. Sobald man den Fuß vom "Gas" nimmt, wird der Diesel ausgeschaltet und mechanisch abgekoppelt. Der Elektromotor wird dann zum Generator und erzeugt mit einem Äquivalent von 60 Nm Strom. Dieser Wert entspricht etwa den Schleppverlusten des Dieselmotors beim Gaswegnehmen. Beim Segeln wird somit regelmäßig Strom erzeugt, der in die Batterie mit einem Energieinhalt von 0,8 kWh eingespeist wird, um dann beim Beschleunigen wieder zur Verfügung zu stehen. Die Batterie ist übrigens auf "Lebenszeit" ausgelegt, soll also mehrere 100.000 Kilometer funktionieren, ohne nennenswert an Kapazität zu verlieren. Mit sehr vorsichtigem Fuß kann man auch in das Segeln eingreifen, um den Generator zum Elektromotor umzukehren - so kann man zum Beispiel noch die Ampel erreichen, anstatt einige Meter vorher zum Stillstand zu kommen. Beim "Segeln Plus" wird der Dieselmotor ebenfalls abgekoppelt, aber der E-Motor bzw. Generator läuft nur noch frei mit, ohne Strom zu erzeugen. Der Vorteil besteht darin, dass man zum Beispiel auf langen Gefällestrecken frei rollen kann. Beim Bremsen wird dann natürlich wieder Strom erzeugt. Wie bei jedem modernen Hybridfahrzeug wirkt das Bremspedal nicht nur auf die Radbremsen, sondern auch auf den Generator. Bei der E-Klasse bremsen die Radbremsen erst dann, wenn der Generator es alleine nicht mehr schafft, oder die Batterie voll ist - schließlich muss der erzeugte Strom irgendwie genutzt werden.
Einfach mal rollen lassen
Anders als das normale Segeln muss man das Segeln Plus manuell einleiten. Auf unserer Kombi-Fahrt durch Schwarzwald und Schwäbische Alb gab es häufig Gelegenheit, die Funktion zu testen. Beispiel Gefällestrecke auf der Autobahn: Ich nehme den Fuß vom Fahrpedal, merke, dass das Bremsmoment des Generators zu stark ist, um den Wagen mit gleich bleibender Geschwindigkeit rollen zu lassen. Also ziehe ich kurz am rechten Lenkradpaddle, das normalerweise zum manuellen Eingreifen in die Automatik dient. Daraufhin rollt die E-Klasse frei, beschleunigt je nach Gefälle sogar, sofern ich sie nicht mit dem Bremspedal darin hindere. Erstaunlicherweise gewöhnt man sich schnell an das Seifenkisten-Spielchen. Bei längeren Abfahren zupfe ich einfach kurz am Paddle, um (natürlich vollkommen emissionsfrei) vor mich hin zu rollen. Wie diese Funktion bei den Kunden ankommt, wird sich zeigen müssen, denn der ökonomische Nutzen ist von Fahrer nicht ganz einfach einzuschätzen. Man muss schon mitdenken, wie ein Entwickler ganz richtig anmerkt, um den Verbrauchsvorteil nutzen zu können. Denn auch beim normalen Segeln kann man ja durch sehr sachtes "Gasgeben" bis zu einer Geschwindigkeit von 160 km/h das Bremsmoment des Generators überlisten. Als Faustregel taugt aber, das immer dann, wenn man weit ausrollen kann, die Funktion Segeln Plus von Vorteil ist. Mercedes ist es damit gelungen, die Vorteile des Hybrids zum Teil auch auf der Autobahn zur Verfügung zu stellen, dort also, wo die weitgehende Konstantfahrt die Vorteile eines Hybridantriebs normalerweise nicht zur Geltung kommen lässt.
Ein Kandidat für die Flotte
Von dieser neuen Funktion abgesehen bekommt man von der Hybridfunktion der E-Klasse im Fahrbetrieb praktisch nichts mit - und das ist positiv gemeint. Die E-Klasse fährt zwar elektrisch an, doch fast unmittelbar darauf wird der Diesel von einem eigenen Anlasser angeworfen. Man kann auch rein elektrisch rangieren oder einparken, immer einen vorsichtigen Gasfuß vorausgesetzt. Wer es darauf anlegt, darf auch bis zu einer Geschwindigkeit von 35 km/h und etwa einen Kilometer weit elektrisch fahren. Das sind aber akademische Werte, denn dazu dient der Hybridantrieb der E-Klasse nicht, sie ist nicht als Plug-in-Hybrid ausgelegt. Der Verbrauch im NEFZ beträgt bei der E 300 Bluetec Hybrid Limousine ganze 4,2 Liter, entsprechend einem CO2-Ausstoß von 109 g/km, beim T-Modell sind es 4,4 Liter und 116 g/km. Nach Überzeugung von Mercedes wird dies so manchen Dienstwagenbetreiber locken, vor allem in Ländern, in denen Autos mit einem CO2-Ausstoß unter 120 g/km besonders belohnt werden, etwa in Frankreich oder Spanien. Apropos andere Länder: Der E 300 Bluetec Hybrid ist vorläufig nur für Europa gedacht, für den amerikanischen Markt und später auch Japan oder China wird es den E 400 Hybrid mit einem V6-Benziner geben.
Gezähmter Dieselmotor
Im Vergleich zu einem konventionellen E 250 CDI mit der gleichstarken Dieselmotorisierung wirkt der E 300 Bluetec Hybrid harmonischer. Der Grund dafür ist einfach: Weil der Elektromotor beim Beschleunigen mit seinen immerhin 250 Nm anschiebt, hat der Dieselmotor weniger zu tun. Das typische Knurren des Vierzylinder-Diesels fällt somit in der alltäglichen Teillast zahmer aus. Der Elektromotor sorgt zudem für eine ungewohnte Spontaneität. Der Antrieb reagiert quasi in Echtzeit auf den Fahrerbefehl, Verzögerungen wie ein Turboloch gibt es nicht. Dieses Verhalten passt zu einem Fahrzeug, das vom ein oder anderen Chromring oder der Holzvertäfelung abgesehen den Charakter eines Schweizer Messers hat. Die Lenkung wirkt exakt und geschmeidig, geradezu sämig, leistet allerdings zu wenig Gegenwehr, um als sportlich gelten zu können - so gehört es sich für die E-Klasse. Die Feder/Dämpfer-Abstimmung ist trocken aber komfortabel, wie man es von den Mittelklassemodellen der Marke gewöhnt ist. Einen kleinen Unterschied zu den Geschwistern mit konventionellem Antrieb lässt sich beim Bremsen feststellen: Das Pedal wirkt wie abgekoppelt, lässt sich aber einwandfrei dosieren. Das Zusammenspiel und der Übergang von Generator und Radbremse ist praktisch nicht zu spüren. Der E 300 Hybrid ist im Grunde ein 250 CDI mit zusätzlichem Hybridmodul und serienmäßiger Siebengangautomatik. Er liegt mit 51.795 Euro preislich zwischen dem 250 CDI und dem 350 CDI mit V6-Dieselmotor, 55.008 Euro werden für das T-Modell aufgerufen. Im dritten Quartal des Jahres 2012 kommt der E 300 Bluetec Hybrid auf den Markt. Der Anschaffungspreis ist also kein Grund, auf den Hybridantrieb zu verzichten. Und der Verbrauch? Bei unseren Fahrten nach Konstanz brauchten wir etwa fünfeinhalb Liter auf 100 Kilometer, ohne uns allzu sehr um einen geringen Verbrauch bemüht zu haben, einige Kollegen kamen auch unter fünf Liter.
(Gernot Goppelt)