R.I.P., Chrysler Deutschland ... Tja, leider gibt es dieses schöne Auto ja nun nicht mehr auf dem deutschen Markt, zumindest nicht mehr neu über den Händler. Um es mal vorweg zu nehmen: Das ist außerordentlich schade. Zukünftig soll der große Chrysler als Lancia auf deutschen Straßen weiter leben. Man wird sehen.
Gekauft habe ich meinen "Dicken", wie ihn Fans gerne liebevoll nennen, im März 2010. Es ist ein Diesel mit dem 3,0L MB 6-Zyl. CRD und das Ganze als Kombi in "bright silver". Mein 300C hatte gerade mal 15 km auf der Uhr, stand aber schon gut 2 Jahre irgendwo in der Gegend rum. Quasi handelte es sich aber damit um einen Neuwagen. Mittlerweile bin ich mit dem sehr bequemen Fahrzeug 28.000 km gefahren und was soll ich sagen? Einfach nur super, das Teil! Kaputt war bislang noch nichts und wirklich zu meckern gibt es auch nix.
Kaufgrund Nr. 1 war für mich vor allem das endgeile Design und die Tatsache, dass es sich um einen Ami handelt (für mich wichtig), auch wenn der mit einigen hochwertigen Zutaten aus dem bundesdeutschen Mercedes-Benz-Regal gespickt ist und in Graz zusammengebaut wurde. Aber vor allem der gangstermäßige Auftritt war es, der mich nach einem Chrysler Crossfire zum 300C getrieben hat: Dieser vielzitierte "Bentley"-Kühlergrill, die schmalen, hinten getönten Scheiben rundum, das "top chop" aber Werk, die großen Räder und das nicht minder gelungene Heck sind schon eine Show für sich. Viele mögen das, wenigen ist es etwas zu dick aufgetragen. Aber eines muss sich der 300C bestimmt nicht vorwerfen lassen: langweilig zu sein. Das überlässt man getrost der europäischen und asiatischen Konkurrenz.
Naja, und dann ist der 300C noch ziemlich groß und dabei sehr gemütlich, zudem gab es die Fzg. am Schluss ihrer Lebenszeit hierzulande auch zu sehr reizvollen Preisen. 49.000 Euro-Dollar hätte meiner - so wie er ist - regulär gekostet, aber bezahlt habe ich nur knapp 28.000€. Für ein solches Schiff mit der Ausstattung ("Außer Navi hatta alles!") ist das mal eine Ansage.
Kombi oder Limo? Über diese Frage werden in Online-Foren ganze virtuelle Kriege ausgetragen. Persönlich finde ich die Limo klassischer, irgendwie noch brutaler und den Station Wagon (amerikanisch für Kombinationswagen) etwas eleganter und natürlich auch praktischer. Übrigens ist das Bright Silver (eigentlich wollte ich ein Grau-Metallic) gar nicht so langweilig-silber, sondern es hat eine ganz bestimmte Nuance. Früher hieß sowas, glaube ich, mal "rauch-silber". Es ist minimal dunkler als die ganzen bekannten Silber-Töne anderer Hersteller. Schön und edel ist so eine US- Landyacht vor allem in Weiß. Die meisten 300er fahren in Schwarz durchs Land. Auch damit macht man nicht viel falsch. Viel mehr Farben gibt/gab es wohl hier offiziell nicht im Angebot, abgesehen von einem dunklen Blauton und Petrol.
Auch die Frage der Motorisierung muss man letztenendes nach seinen persönlichen Parametern beantworten: Mir als Vielfahrer erschien der Diesel am sinnvollsten, aber man muss wissen, dass die beiden V-8-Versionen (alle mit Benzin) oft sehr günstig zu haben sind und mit Gas betrieben liegt man wohl von den Kosten her nicht viel höher als mit dem Diesel. Weniger empfehlenswert sind offenbar die 6-Zylinder-Benziner, da sie im Alltag gegenüber den V-8 kaum einen wirklichen Vorteil beim Verbrauch bringen. Etwas Recherche bei einschlägigen Online-Foren sollte da Pflicht sein vor dem Kauf.
Der 300C fährt sich in jeder Situation völlig problemlos und total entspannt. Die Ausmaße merkt man witzigerweise überhaupt nicht und die Übersicht ist völlig OK. Dank Parkpiepsern hinten (bei neueren Modellen zudem vorne) ist das Rangieren mit dem über 5m langen Boliden ein Kinderspiel. Aber natürlich ist der Dicke kein quirliger City-Flitzer für das Samstagsshopping in der gnadenlos überfüllten Innenstadt.
Auf der AB und Landstraße gleitet man förmlich dahin und kommt sich in den teilbelederten Sesseln vor wie "Al Capone" höchstpersönlich - fehlt eigentlich nur noch eine stilechte Zigarre zwischen den Lippen, ein .38er unterm Jackett und ein Glas Whiskey im Cup-Holder. Auch sehr lange Strecken erledigt man als Fahrer oder Mitfahrer ohne jeglichen Stress. Man kommt sprichwörtlich erholt am Ziel an, deutlich versüßt werden alle Fahrten durch das tolle Soundsystem. Ab ca. 200 km/h geht es zwar nur noch etwas mühsam voran auf dem Tacho, was aber nicht heißt, dass man den Dicken bei Bedarf nicht schnell fahren könnte. Der 3-Liter-V-6 ist vom Charakter schon ein Dampfhammer, immerhin kann man bis zu 510 Nm abrufen. Auch bei sehr hohen Geschwindikeiten fährt der 300C sich gefühlt sehr sicher - wohl eine positive Folge des recht langen Radstandes. Nie hat man das Gefühl, dass das Fahrverhalten nervös ist oder der Wagen gar unbeherrschbar werden könnte. Die Bremsen könnten insgesamt betrachtet zwar noch etwas bissiger sein, aber unterm Strich sind die auch gut. Die großen "Bus"-Reifen schützen zuverlässig davor, dass man sich die guten Felgen an irgendwelchen Bordsteinen zerballert. Für mich reichen die Serienfelgen übrigens total aus, ich finde sie vor allem optisch sehr ansprechend. Diesel-Sound lässt sich nicht leugnen, er ist aber keinesfalls unangenehm.
Die Sitze vorne und hinten sind einfach super, da groß und sofamäßig gemütlich. Auch im Fond hat man massig Platz. Der Kofferraum ist zwar laut Fachpresse nicht der klassengrößte, aber immer noch ganz schön "huge" Die Rücksitze lassen sich umklappen und dann wird der 300C zum Raumwunder. Kurzum: Der in Graz gebaute Ami ist voll alltagstauglich und sogar sehr praktisch, z.B. bei einer großen Familie, ausgefallenen Hobbys oder wenn man öfters mal so viel Geraffel zu transportieren hat. Lediglich die Anmutung des Innenraumes könnte etwas besser sein, hier kommt dann doch latent der typische Amerikaner zum Vorschein.
Ein kurzes Wort zur Dachreling: Die ist sicher praktisch, versaut aber beim Kombi die ganze Seitenlinie. Wer also diese Teile nicht unbedingt braucht, sollte einen 300C ohne "Stromabnehmer" suchen, denn ohne jene wirkt der Wagen noch eleganter und noch geduckter - "cleaner" würde der Ami wohl treffend sagen.
Spritverbrauch: "Ja, hat er." Viele Außenstehende vermuten mit sorgenvoller Miene, dass der Chrysler wohl mindesten 15 Liter braucht, um überhaupt erst mal anzufahren. Diese Vorurteile wird man aus deutschen Köpfen sicher nie herausbekommen. Ich habe - mit vielen, teils sehr flotten AB-Fahrten - einen ca. Verbrauch von 10,0 Litern, was in Anbetracht des Gewichts, der Motorleistung und eben meiner Fahrweise noch nicht mal viel (für mein Empfinden) ist. Eine Woche Holland mit rigiden Geschwindigkeitsbegrenzungen und hunderten von Blitzern, verteilt auf alle 50m Wegstrecke, bescherten mir und dem Dicken sogar unter 8,0 Liter Verbrauch; es ist eben klar eine Sache des eigenen Fahrstils, wie viel Diesel man letztlich durch die sechs Zylinder und den Doppelauspuff bläst. Die Automatik schaltet für meine Begriffe sanft und richtig gut, manchmal ist sie aber etwas träge.
Wirklich störend sind nur ganz wenige Dinge, aber wir wollen hier ja ehrlich sein: Die Innenausstattung liegt, wie schon angedeutet, von der Anmutung her irgendwo zwischen Opel und Daihatsu. Die moderneren Versionen ab Bj. 2009 haben ein aufgehübschtes Inneres (endlich komplett in Schwarz), da ist es besser, aber nach 50.000 Euro sieht mein Interieur bestimmt nicht aus: billiges Pastik, komische Farben. Aber das wusste ich vorher und so schlimm ist es nun wieder auch nicht. Wer hier "mehr" will, muss halt doch Benz oder Audi kaufen. Ein weit bekanntes Übel sind hässlich aufgeblühte Alu-Felgen. Die hatte ich natürlich auch. Aufgeblüht sind im Laufe der Zeit auch zwei der "300C"-Embleme an Heck und Seite. Die sog. Drosselklappen könnten durch eine konstante Verölung von bestimmten Motorarealen zum Problem werden, aber davon kann ich Gott sei Dank noch nichts berichten - wenn sie denn im Eimer sind, wird es allerdings immer empfindlich teuer. Und die Inspektionskosten sind auch nicht gerade günstig. Immerhin muss man "nur" alle 20.000 km zum Kundendienst, aber die üblichen Preise in der Fachwerkstatt sind schon recht hoch. Und wie es mit Chrysler an sich und vor allem der Wartung weiter geht, muss man auch mal sehen (siehe Anfang des Textes).
Nun endlich zum Fazit: Der 300er ist kein Auto für introvertierte Sparfüchse, knallharte Rationalisten und selbsternannte Klimaretter, wie jenen anonymen Herren im Internet, der ganz hysterisch auf den Chrysler 300C mit der geistreichen Aussage reagierte "So einen Schützenpanzer braucht kein Mensch". Nun, ich brauche ihn schon und bin zudem sehr froh, dass man uns (noch) nicht vorschreibt, welche Autos man hierzulande kaufen darf und welche nicht.
Für sehr faires Geld bekommt man ein emotional stark aufgeladenes Auto mit einer großen Prise "old scool" und "coolness", das Ganze garniert mit Praktikabilität und voller Alltagstauglichkeit. Die Verarbeitung steht europäischen Produkten in nichts nach. Selten war wohl ein Ami so "europäisch" im positiven Sinne wie der 300C. Der Verbrauch des Diesels ist angemessen und im Vgl. zu ähnlichen Autos keinesfalls unzeitgemäß. Und welcher Hersteller bietet schon ein designtechnisches Show-Car, mit dem man auch mal locker eine Waschmaschine transportieren kann? Schade, dass dieses Fahrzeug trotz eigentlich ganz respektabler Verkäufe seine ganz große Chance bei uns nicht bekommen hat. Er hätte es definitv verdient.
Noch mal kurz etwas zum Image und zur Fremdwirkung: Man sollte als 300C-Fahrer auf jeden Fall damit leben können, dass einem vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer mit Gesten darauf aufmerksam machen, wie geil doch dieser 300C ist oder dass plötzlich 10 Jugendliche mitten auf der Straße vor dem fetten Chrysler anfangen zu tanzen, wie in irgendwelchen Gangster-Rap-Videos. Immer wieder mal wird man angesprochen und über den 300er ausgefragt. Ich gebe dann immer gerne Auskunft. Oder wie sagte ein Arbeitskollege mal so schön: "Man, was für eine Macho-Karre! Aber ganz ehrlich - WENN ich mir einen Kombi kaufe, dann nur DEN!" Im Grunde könnte man diesen ganzen Bericht hier auf diesen einen Satz zusammen streichen, er sagt nämlich alles ....
So, das Ganze noch in Kurzform für alle Lesefaulen:
+ Design
+ Individualität
+ Geniales und äußerst bequemes Reiseauto
+ Praktikabilität
+ Motor
+ Angemessener Verbrauch
+ Preis-Leistung
+ Fast Vollausstattung ohne Aufpreis
+ Tolle Soundanlage
o Inneraumanmutung ziemlich mittelmäßig
o Wenig Zuladung, gemessen am zul. Gewicht
o Imageprobleme im Audiland
- Wertverlust
- Oft aufgeblühte Alus und Embleme
- Klima geht nur bis 160 km/h
- Zukunft bez. Wartung u. Ersatzteile ist nicht ganz klar
Ich würde dieses einzigartige Auto jederzeit wieder kaufen und kann es nur wärmstens empfehlen!
P.S.: Es gibt mittlerweile ein Facelift-Modell, das aber besonders von vorne nicht so ganz mitkommt mit dem "Alten" ...