27. Juli 2015
Portimao (Portugal), 28. Juli 2015 - Als Audi 2008 mit seinem ersten Supersportwagen um die Ecke kam, traute man den Mannen aus Ingolstadt (beziehungsweise Neckarsulm) nicht wirklich viel zu. Ich meine, was soll man schon von einem Hersteller erwarten, dessen Verständnis von Sportwagen hauptsächlich in etwas humorlos abgestimmten Brachial-Kombis Ausdruck findet. Mit dem ersten R8 zeigte man allerdings eindrucksvoll, dass es auch anders geht. Er war das genaue Gegenteil einer gefühl- und seelenlosen Highspeed-Maschine. Ein facettenreiches und spielerisches Meisterstück und ein wirklicher und waschechter Supersportwagen.
Immerhin 50 Kilo Blöd nur, dass irgendwann die Ablösung erfolgen muss. Das zweite Album ist meist das allerschwierigste. Hohe Erwartungen, bloß keine Fehler, Sie wissen schon. Daher verwundert es nicht, dass Audi am R8-Grundrezept nur wenig geändert hat. Die optischen Neuerungen sind marginal, wenn auch nicht unbedingt optimal. Zumindest für mich hat der Neue das Pure und Sehnige der ersten Generation ein wenig eingebüßt. Gänzlich neu ist dagegen der Unterbau. Es bleibt beim bekannten Alu-Spaceframe, nun allerdings ergänzt durch eine nicht unwesentliche Menge an Carbon. Der Mitteltunnel, die Rückwand und die B-Säulen sind aus Kohlefaser. Der Rohbau ist 15 Prozent leichter und 40 Prozent steifer als bisher. Insgesamt verspricht Audi 50 Kilo weniger, was in einem Leergewicht von 1.555 Kilo resultiert. Nicht so übel für ein Auto mit Allrad und zehn Zylindern im Heck.
Ein Motor wie ein TraumJa richtig, der neue R8 fährt nun ausschließlich mit V10-Motoren vor. Einige werden das schade finden, weil sie den V8-R8 für das leichtere und agilere Auto hielten, aber der Zehnzylinder verkaufte sich nunmal deutlich besser, also ist die Entscheidung durchaus nachvollziehbar. R8-Interessenten haben nun die Wahl zwischen dem V10 mit 540 PS und dem V10 plus mit haarsträubenden 610 PS. Beide sind an ein nochmals verbessertes und schnelleres Siebengang-DSG gekoppelt (der Handschalter ist Geschichte) und drehen wie der Teufel. Bei vogelwilden 8.250 Touren liegt die volle Leistung an. Erst bei 8.700 Touren schreitet der Begrenzer ein, bevor sich die unzüchtigen Kolben noch selbst durch die gläserne Motorabdeckung befördern. Wie große Teile des Chassis ist auch der 5,2-Liter-Sauger bereits vom Lamborghini Huracán bekannt. Und wie im italienischen Protz-Stier verfügt er aus Spritspargründen über eine Zylinderabschaltung.
Deutlich mehr Elektronik Der quattro-Allradantrieb ist selbstverständlich auch wieder an Bord. Die Visco-Kupplung mit ihrer Grund-Kraftauslegung von 15:85 Prozent zu Gunsten der Hinterachse weicht jedoch einer elektronisch gesteuerten Lamellenkupplung, welche die Power je nach Bedarf oder Level an fahrerischem Irrsinn bis zu 100 Prozent nach vorne oder hinten schicken kann. Zudem portioniert ein Sperrdifferenzial, was leistungsmäßig zwischen den Hinterrädern passiert. Weitere Zugeständnisse an die Modernität sind (jeweils optional erhältliche) adaptive Dämpfer, das ganze Landstriche erhellende Laserlicht sowie eine variable Lenkung, die bei niedrigen Geschwindigkeiten direkter arbeitet als bei hohen. Biertransporter Apropos modern: Innenräume konnte Audi zwar immer, aber das Cockpit des R8 ist schon eine besonders schicke Spielwiese. Aus dem TT hüpft das neue Virtual Cockpit samt seines 12,3-Zoll-Zentraldisplays hinüber und es gibt ein extrem knopflastiges Lenkrad, das aussieht wie aus einem Rennwagen, nur besser erzogen. Das Interieur wirkt sehr aufgeräumt und fahrerorientiert, weshalb Audi von einer Art Monoposto-Gefühl spricht. Das ist natürlich Quatsch, allerdings ist die Bedienung des R8 wirklich extrem intuitiv und einfach. Zwei Menschen sitzen zudem sehr großzügig (wenn auch die Sitzposition nicht ganz perfekt ist) und hinter dem Gestühl ist wohl tatsächlich Platz für ein Golfbag. Wer Bier transportieren möchte, kommt im neuen R8 ebenfalls auf seine Kosten. Der vordere Kofferraum wurde haargenau für eine Kiste feinsten deutschen Gerstensafts ausgelegt. Das ist wahrer Sportsgeist. Ein Motor wie ein Lottogewinn Deutlich wichtiger als der Biertransport-Index ist jedoch die Frage: Geht der elektronische Fortschritt auch im neuen R8 zu Lasten des Fahrspaßes? Der erste Eindruck sagt ganz klar Nein! Der furiose 610-PS-V10 (definitiv die Maschine der Wahl) ist eines Supersportwagen-Antriebs mehr als würdig. Im unteren Drehzahlbereich fehlt natürlich der rabiate Biturbo-Magenschwinger eines Mercedes-AMG GT oder eines McLaren 650S. Aber in diesem Auto wird man im Nu in einen unüberwindbaren Drehzahlbann gezogen. Unter 4.500 Touren wärmt man sich nur auf, ab etwa 5000 Umdrehungen setzt so langsam der Rausch ein und alles, was nach dem 6000er-Strich passiert, ist pure Magie. Das Ansprechverhalten ist so irrsinnig spontan und exakt, wie es kein Turbo der Welt jemals hinkriegen wird. Dazu passt das verbesserte DSG. Mit seiner fühlbar gesteigerten Geschwindigkeit ist es nun ziemlich nah an der Perfektion und eine der größten Verbesserungen, die der neue R8 zu bieten hat.
Dynamiklenkung lieber weglassen Auf der Straße wirkt das Auto ein ganzes Eck gestraffter, schärfer und alarmbereiter als der Vorgänger. Allein die Fahrleistungen (null auf 100 km/h in 3,2 Sekunden, 330 km/h Topspeed) wirken wie eine andere Liga. Obwohl der R8 ein ziemliches Hightech-Monster geworden ist, fühlt er sich erfreulich natürlich an. Eine kleine Ausnahme bildet dabei die angesprochene variable Dynamiklenkung. Auch dieses System wird langsam besser, aber ein wenig zu viel Künstlichkeit und Unklarheit bleibt. An die Lenkung eines Porsche 911 reicht es so nicht heran. Ebenfalls etwas gewöhnungsbedürftig: Der R8 ist spürbar breiter geworden und gerade auf engeren Landstraßen wünscht man sich doch hin und wieder die Kompaktheit der ersten Generation zurück. Sehr breites Spektrum Für einige Verblüffung sorgt schließlich, wie konfigurierbar Audis neues Supercar geworden ist. Die Unterschiede in den einzelnen Fahrmodi sind wirklich eklatant. In den Streber-Modi fährt man ein erstaunlich komfortables, leises, fast schon zu braves Auto. Ein perfekter Alltagswagen für Leute mit sehr wenig Gepäck. Dreht man alle Systeme auf, verwandelt sich Audis Schnellster jedoch in ein echtes Monstrum, das den Vergleich mit den besten der Zunft nicht zu scheuen braucht. Neben den vier Drive-Select-Modi gibt es nun auch einen Performance-Knopf, der ESP-Verhalten und Kraftverteilung je nach Wetter (Dry, Wet, Snow) regelt. Alles ist nun maximal gespannt und endlich hört man auch ein wenig Sound. Der R8 tönt selbst in seiner krawalligsten Einstellung nicht annähernd so theatralisch und anstößig wie ein Lamborghini Huracán, aber an dieses harte, metallische Hochdrehzahlgeschrei kann man sich durchaus gewöhnen. Mehr Traktion als eine Pistenraupe Auf öffentlichem Geläuf rast der R8 beängstigend neutral und ohne merkliche Karosseriebewegungen in die Kurve hinein und katapultiert sich, quattro sei Dank, absolut verlustfrei aus selbiger wieder hinaus. Wer hier gerne mal ein bisschen rutscht oder den Hintern fliegen lässt, wird jedoch enttäuscht. Solange man sein Gehirn nicht zu Hause vergessen hat, ist das Auto eigentlich nicht ans Limit zu bringen. Wo im alten Auto kleine, launige Heckschwenks auch bei vertretbaren Geschwindigkeiten machbar waren, braucht man jetzt große Mengen an Platz und sehr viel Idealismus.
Auf der Strecke grandios Oder eine Rennstrecke: Hier erzählt einem der R8 mit recht deutlichem Untersteuern, wann die Grenze seiner Haftlaune erreicht ist. Auf der anderen Seite lässt er sich aber auch überraschend gut mit dem Gas steuern. Wer nicht nur Ideallinie fahren will, kriegt ein Galamenü der kleinen bis mittelschweren Driftwinkel serviert und generell wirkt die Abstimmung merklich freizügiger als im überraschend dumpf ausgelegten Lamborghini Huracán. Für Audi-Verhältnisse ist das beinahe obszön. Es macht wirklich sehr viel Spaß. V10 plus macht Sinn Der Audi R8 startet als 540 PS starker V10 ab 165.00 Euro. Wer 22.400 Euro drauflegt, erhält im V10 plus nicht nur den deutlich schärferen Antrieb, sondern auch einiges an Zusatzausstattung wie die etwa 9.000 Euro teure Keramikbremse, ein Carbon-Paket für nahezu 6.000 Euro oder die 3.200 Euro teuren Schalensitze. Auch die drei Performance-Modi sowie das wirklich coole Performance-Lenkrad sind nur im plus Serie. Die Konkurrenz kommt in Form des mindestens 197.041 Euro teuren Porsche 911 Turbo S, des 201.705 Euro teuren Lamborghini Huracán, des Mercedes-AMG GT S für mindestens 134.351 Euro und des neuen McLaren 570S, der bei 181.750 Euro startet.