21. Oktober 2011
Turin (Italien), 21. Oktober 2011 - Die Italiener sind erstaunt, laufen ungläubig um unser Auto herum. Wir sind mit dem neuen Lancia Thema in Turin unterwegs. Nicht ohne Grund sieht der Wagen aus wie ein Block - schließlich kommt das Fahrzeug von Chrysler. Was Lancia mit seinem neuen Ami-Flaggschiff bietet, klären wir in unserem Test.
Klassisches Stufenheck
Bei kaum einem anderen Fahrzeug ist die Stufenheck-Ausprägung so prägnant, wie beim Lancia Thema. Der Wagen basiert auf dem Chrysler 300, dem Nachfolger des 300C, und wird in Kanada gebaut. Seit Juli 2011 gehört Chrysler mehrheitlich zum Fiat-Konzern. Damit bewahrten die Italiener die insolventen Amerikaner vor einem Zombie-Dasein, wie es Saab gerade durchmacht. Fiat-Tochter Lancia vertreibt nun einige Chrysler-Modelle in Europa. Die Änderungen gegenüber dem amerikanischen Original fallen beim Thema marginal aus: Vorne und hinten prangt das Lancia-Logo und im Innenraum gibt es eine stylische Lancia-Analoguhr.
Zwei Vorgänger
Auch schon der erste, von 1984 bis 1994 gebaute, Thema war kein reiner Lancia: Das Gemeinschaftsprodukt von Saab, Fiat und Alfa Romeo wurde auch als Saab 9000, Fiat Croma und Alfa Romeo 164 vermarktet. Nicht zu verwechseln ist der Thema mit dem filigranen bis Mitte 2009 gebauten Thesis. Der neue Thema hat also zwei Vorgänger: den Chrysler 300C und den alten Thema. Dem jüngsten Lancia-Spross quellen seine US-Design-Gene aufgrund von Größe und Kantigkeit aus allen Poren. Und etwas fällt beim Öffnen der Kofferraumklappe auf: Sowohl die Ladekante als auch die Ladeschwelle fallen sehr hoch aus. Eine Kombi-Variante, wie es sie vom Chrysler 300C noch gab, ist nicht in Planung.
Kabinen-Ambitionen
Der Innenraum unseres Thema wurde mit Leder und dunklem Holz ausgekleidet. Die Ausstattung wirkt deutlich feiner als noch beim Vorgänger. Aber: In unserem Wagen hat die Verarbeitung noch Potenzial: Die Holzintarsien sitzen schief. Die Holzlamellen-Jalousie in der Mittelkonsole wirkt schon verwittert und die Holzeinlage in der Tür wurde nicht durchgehend gefärbt. Außerdem wirft das Leder in den Türverkleidungen an Stellen Falten, wo keine Falten hingehören. Den Italienern dürfen wir die Verarbeitung nicht in die Schuhe schieben. Wie schon gesagt: Die Wagen werden komplett fertig montiert aus der kanadischen Provinz Ontario angeliefert.
Straff gemacht
Wir nehmen auf dem serienmäßig mit Leder überzogenen Gestühl Platz. Vorne sind die Sitze sehr fest, drücken uns beinahe von sich weg. Ebenso straff ist das Fahrwerk unseres Thema: In Kurven wird nicht gewankt, aber über Unebenheiten wird auch gut rüber- gerattert. Hier gibt es eine Besonderheit zu beachten, die Lancia nicht gerade offensiv kommuniziert: Wer die 1.490 Euro teuren 20-Zoll-Leichtmetall-Felgen ordert, bekommt automatisch eine Art Sportfahrwerk dazu. Die Abstimmung ist nun deutlich härter als bei der serienmäßigen Ausstattung mit 18-Zoll-Felgen. Wer Komfort sucht, muss bei den Basisfelgen bleiben, wer eine spürbar sportliche Feder-Dämpfer-Kombination braucht, sollte sich mit den 20-Zöllern anfreunden. Auf jeden Fall ist das Fahrwerk erheblich besser als noch beim Vorgängermodell Chrysler 300C. Die Lenkung gibt sich unspektakulär präzise und hat durch die Umstellung von hydraulischer auf elektrohydraulische Servounterstützung gewonnen.
Großer Diesel
Den Vortrieb erledigt in unserem Thema ein Dreiliter-Turbodiesel mit sechs Zylindern. Den Motor gibt es in zwei Auslegungen: mit 190 oder 239 PS. Ein V6-Benziner mit 286 PS wird ebenfalls kommen. Ob auch mal ein V8 zur Verfügung stehen wird, ist noch offen. Schließlich gab es den ersten Thema als "8.32" mit einem wartungsintensiven Achtzylinder von Ferrari - der Zahnriemen musste alle 20.000 Kilometer gewechselt werden. Das ging nur, wenn der 215-PS-Motor ausgebaut wurde. Unser Diesel ist anspruchsloser und sorgt für Dynamik: In 7,8 Sekunden geht es von null auf 100 km/h, maximal sind 230 km/h drin.
Kultiviert
Das Aggregat wurde gut gedämmt, im Innenraum genießen wir entspannte Ruhe. Der Anzug im Stadtverkehr ist gewaltig - das Drehmoment von 550 Newtonmeter liegt ab 1.800 U/min an. Das Beschleunigen auf der Autobahn löst dann keine Räusche aus, geht aber in Ordnung. Laut Hersteller werden im Schnitt 7,2 Liter Diesel pro 100 Kilometer fällig. Ein Mercedes E 300 CDI BlueEfficiency mit 231 PS genehmigt sich 6,8 Liter und ein BMW 530d Automatic mit 258 PS ist mit 5,3 Liter Diesel dabei.
Preisfrage
Um die Schaltarbeit kümmert sich im Diesel-Thema eine Fünfgang-Automatik, die Chrysler mal von Mercedes übernahm. Eine Achtgang-Automatik, die mit dem immensen Drehmoment des Selbstzünders zurechtkommt, steht beim Hersteller noch nicht zur Verfügung. Aber die fünf Gänge reichen, die Schaltvorgänge verlaufen unmerklich. Den 239-PS-Diesel gibt es ab der zweithöchsten Ausstattung "Platinum" für 46.900 Euro. Hier sind dann schon eine Sitzheizung für vorne und hinten, ein Navi und Xenonlicht mit Fernlicht-Automatik mit dabei. Die höhere Ausstattung "Executive" lässt dann für 50.900 Euro keine Wünsche mehr offen. Allerdings bekommt man für dieses Geld dann auch schon die deutsche Konkurrenz: Der Mercedes E 300 CDI BlueEfficiency wird mit 49.712 und der BMW 530d Automatic mit 51.900 Euro berechnet. Im Vergleich zum Lancia sind die Deutschen aber beinahe nackt.