15. Oktober 2015
Haar, 16. Oktober 2015 - Ich möchte eigentlich überhaupt nicht davon anfangen, ob das hier in irgendeiner Weise Sinn macht oder nicht. Es ist ein Sportcoupé, das im Prinzip viel zu groß, breit und insgesamt einfach viel zu massiv aussieht, um ein Sportcoupé zu sein. Die leichten Facelift-Optimierungen an Front und Heck ändern nicht wirklich viel daran: Der Conti GT Speed steht vor unserer Redaktion wie ein überdimensionaler Fels (ein recht eleganter Fels immerhin), aus dem ein sehr britischer Künstler eine furchteinflößend einnehmende Präsenz herausgefräßt hat. Das unglaublich blaue Blau (für 5.100 Euro), dieser eskapadös große Grill, all der Chrom, die Felgen, die aussehen, als würden sie jeden Morgen einen Satz S-Klasse-Räder frühstücken - man muss schon ein Faible für Ausmaß haben, um den Conti zu mögen.
Festhalten bitte Wo wir schon mal bei "Ausmaß" sind: Das hier ist der "Speed". Das bedeutet, er hat den stärksten Motor, den man in einem Bentley kriegen kann. Mit dem Facelift änderte sich nichts an ihm, allerdings brachte er es vorher schon auf zwölf Zylinder, zwei Turbolader, 635 PS und 820 Newtonmeter. Folglich blieben auch seine Kerntugenden erhalten: Er schiebt 2,3 Tonnen Leergewicht mit einer Autorität nach vorne, mit der 2,3 Tonnen Leergewicht nach menschlichem Ermessen eigentlich nicht nach vorne geschoben werden können. Alles ist ja irgendwie endlich, dieses Drehmoment scheint aber eine willkommene Ausnahme zu machen. Sollten Sie mal das Vergnügen haben, dann schalten Sie mit den riesigen (gut) und sehr seltsam positionierten (nicht so gut) Paddles der schnellen und eleganten ZF-Achtgang-Automatik in irgendeinen hohen Gang, nageln Sie das Gaspedal in den Boden, warten Sie bis etwa 1.500 U/min und schauen Sie dann dabei zu, wie ihre Wirbelsäule das Zeitliche segnet.
Speed und SoundVon null auf 100 km/h geht es in 4,2 Sekunden. Nach neun Sekunden liegen 160 km/h an. Es fühlt sich aber schneller an. Dazu muss gesagt werden: Im Bentley Continental GT ist noch Launch-Control-freie Zone. Es gibt Allrad und astronomische Mengen an Bumms. Basta. Wer wirklich will, kann mit dem Speed übrigens bis zu 331 km/h schnell werden. Vermutlich reißt es dann ein Loch in die Zeit und der Verbrauch (wir erreichten im Schnitt um die 19 Liter) nähert sich behände der Dreistelligkeit, aber möglich ist es. Egal wie schnell man letztlich fährt, was immer bleibt, ist ein sehr geschmackvoll komponierter Soundtrack. Der Gehörgang fühlt eine große Menge an Macht und wenn man vom Gas geht, schießt der Speed hin und wieder ein paar brabbelige Salven Verbrennungsreste in die Umgebung. Aber er klingt nie aufdringlich oder rüpelhaft, einfach nur stattlich und unendlich souverän.
Zu schwer? Abwarten Nun ist es so, dass der Speed mitsamt seinem Zwöfzylinder wahnsinnig viel wiegt. Vor allem vorne. Ich erklärte das bereits. Sprich: Leute, die sich mit Fahrspaß auskennen, sagen, er sei für alte Menschen. Wenn man also nicht nur geradeaus fahren und dabei möglichst imposant aussehen will, dann ist der leichtere V8 S sicher die bessere Wahl. Nach den ersten paar Metern und Minuten mit dem Speed ist man gewillt, diese Meinung uneingeschränkt zu teilen. Er wirkt in erster Linie breit und riesig und
naja
schwer eben. Je mehr man den dicken Brocken fordert, desto mehr merkt man allerdings, welch vorzügliche Leistung die Ingenieure aus Crewe vollbracht haben. Beeindruckend behände Dank des Allradantriebs (mit einer 40:60-Kraftverteilung eher hecklastig ausgelegt) gibt es natürlich Containerladungen an Grip und horrenden Vortrieb aus jeglicher Kurve heraus. Interessanter ist aber, wie wenig sich dieses Auto neigt, wie wenig es schwankt. Einfach die Einstellung des Luftfahrwerks auf dem Touchscreen ganz nach rechts schieben (dort wo "Sport" steht) und anfangen zu staunen. Wirklich, etwas so Üppiges wie diese Karosserie sollte das nicht können. Gut, der Speed sitzt 10 Millimeter tiefer, hat optimierte Sturzwerte und ist etwas steifer abgestimmt, aber trotzdem: Er sollte das nicht können. Weil er es aber trotzdem tut und dazu (egal in welchem der vier Fahrmodi) jederzeit sänftengleich federt sowie eine wunderbare, mitteilsame (weil noch hydraulische) Lenkung besitzt, ist es tatsächlich ein großer, großer Spaß, mit dem Speed die Sau rauszulassen. Man hat zwar schon irgendwie das Gefühl, der Straße wehzutun, aber kein Auto mit vergleichbarem Gewicht wird den Asphalt ähnlich präzise und behände zum Weinen bringen. Ich kann mir kaum ein Fahrzeug vorstellen, mit dem man lieber über ganze Kontinente hinwegfegen würde (vermutlich heißt es deswegen auch so), eine sehr belastbare Tankkarte sollte allerdings immer zur Hand sein. Infotainment ausbaufähig Letztlich weiß der Bentley Continental GT Speed also durchaus zu verblüffen. Frei von Schwächen ist er aber beileibe nicht. Das geliftete Interieur (neuerdings mit inflationärer Rautensteppung und noch mehr hochwertigen kleinen Dingchen, Hebelchen und Schalterchen) ist ein ganz und gar wundervoller Ort, in Sachen Infotainment und Assistenzsysteme wirkt es aber langsam etwas altbacken. Der große Touchscreen geht seiner Arbeit eher behäbig nach, das Zentraldisplay wirkt in Größe und Darstellung etwas mickrig und auch der Abstandsregeltempomat ist mehr von der gemütlichen Sorte. Ganz generell verhält sich die Bedienung verglichen mit, sagen wir, einem S-Klasse-Coupé, wie ein alteingesessener Zigarrenclub zum Silicon Valley.
Und im Vergleich? Mancher mag das angesichts eines Testwagenpreises von mehr als 260.000 Euro unverfroren finden. Andere würden sagen, der Bentley hat eben noch Charakter und ist kein seelenloses Ding, das man drei Wochen nach der Leasingrückgabe schon wieder komplett aus dem Gedächtnis gestrichen hat. Mit seiner Liebe zum Detail und der unglaublichen Verarbeitung ist er deutlich erhabener und spezieller als ein BMW 6er oder ein Maserati GT und im Vergleich zum Rolls-Royce Wraith ist er
nun ja
"günstig" und weniger "royal" (im positiven Sinne). Blieben noch ein S 65 AMG Coupé und der Ferrari FF, die dem Conti-GT-Speed-Interessenten nach einer Probefahrt in die Suppe spucken könnten. Beide sind insgesamt - und jeder auf ganz verschiedene Weise - vermutlich die besseren Autos. Vor der bezaubernden Handwerkskunst und Noblesse des Bentley müssen aber auch sie kapitulieren.