12Gebrauchtwagen.de12Neuwagen.de

Unsere Partnerseiten:

Autoplenum, 2010-04-19

Mercedes SL 63 AMG - Artgerechte Haltung

Testbericht

Stefan Grundhoff

Wo könnte ein weißer Luxusroadster besser hingehören, als auf die
Straßen von Südflorida? Eine Fahrt im Mercedes SL 63 AMG durch Miami
Beach, Fort Lauderdale und Boca Raton ist wie ein Kurztrip in die Welt der
Schönen und Reichen.

Mit einem Auto an den Küsten Floridas aufzufallen, ist kein leichtes
Unterfangen. Die ebenso sonnenverwöhnten wie finanzkräftigen
Bewohner im Süden des amerikanischen Sonnenstaates leben zu
zehntausenden in abgeschirmten Villen und Luxus-Condominiums.
Natürlich ist man in diesem Kreise nicht in Mittelklassemodellen eines
Toyota Camry, Chevrolet Impala oder Hyundai Sonata unterwegs. So
sieht man auf Ocean Drive, der A1A oder dem Florida Turnpike
Sonnenroadster, Luxus-Cabriolets und Mega-SUV zuhauf. Mercedes S-
Klasse, Porsche 911 oder Maserati Quattroporte werden zu wahren
Massenerscheinungen. Nach einem Mercedes SL 63 AMG dreht sich daher
keiner um. Dafür reichen die strahlend weiße Lackierung und der wild
bollernde Achtzylinder kaum aus.

Dabei sind die Straßen von Miami das perfekte Umfeld für den SL 63 AMG.
Der warme Wind fährt durchs Haar, wenn es über den Causeway hinein
nach SoBe geht. Im Satellitenradio klingt der begnadete Sender „80’s on
8“ – gerade tönt 80er-Star Don Hanley sanft aus den Boxen. Oben herum
klingt das Boxensystem zu dünn. Da gibt es in der Cabrio- und
Roadsterklasse bessere Klangkörper. Doch eigentlich säuselt Hanley nur
nebensächlich im Hintergrund, denn bereits ab unteren
Drehzahlbereichen hat der 6,3 Liter große Prachtkerl unter der
Motorhaube das akustische Zepter übernommen. Kein Turbo, kein kleiner
Hubraum Leitung im Überfluss – so lieben es die Amerikaner in den
sonnigen Breiten unweit der Everglades.

386 KW / 525 PS bei 6.800 U/min und ein maximales Drehmoment von
630 Nm bei 5.200 Touren sind für den geschniegelten SL, der fast zehn
Jahre auf dem Markt ist, imposante Werte. Ein paar Meilen in dem weißen
Geschoss sind ein sicherer Nachweis dafür, dass es in dem SL der
Baureihe R 230 aktuell keine bessere Besetzung gibt. Die kleineren Sechs-
und Achtzylinder spielen ebenso nur die zwei Geige wie die übermächtigen
Zwölfzylinder, die niemals so begeistern können wie der 63er. Den
Prestigestart an der Kreuzung Lincoln Road / Collins Avenue im Herzen
von South Beach schafft der Sonnenanbeter in 4,6 Sekunden – wenn das
ein Cop sieht, war es das mit Führerschein, Sonne im Haar und
handschuhweichen Lederstühlen. Zum weiteren Austesten der
sportlichen Fähigkeiten sollte man sich lieber auf der Rennstrecke von
Homestead, eine gute halbe Stunde südlich von Miami, einmieten. Für ein
paar Dollar macht die Streckenwacht eine Ausnahme und lässt einen auf
dem Hochgeschwindigkeits-Oval ein paar schnelle Runden drehen.

Unverständlich, wieso Mercedes sein schnelles Beiboot nicht offen von der
Leine lässt. Eine Höchstgeschwindigkeit von abgeregelten 250 km/h passt
so wenig zu 525-Power-PS wie die bissige Sportautomatik mit sieben
Gängen in einen Messerschmitt Kabinenroller. Trotz allen sportlichen
Engagements bleibt der 4,61 Meter lange Mercedes SL 63 AMG bei allen
Ambitionen ein Cruiser. Wer messerscharf sportlich unterwegs sein will,
der wird sich an der zu direkten Lenkung, an den spürbaren
Wankbewegungen im Grenzbereich und dem Leergewicht von zwei
Tonnen stoßen. Daran ändert auch der jederzeit hungrige Achtzylinder
nichts. Der genehmigt sich ganz nebenbei gut und gerne 16 bis 17 Liter
Super auf 100 Kilometer. Hier im noblen Boca Raton stört das niemanden.
Mit Wohlwollen wird allerdings zur Kenntnis genommen, dass der
Mercedes SL 63 AMG hier im sonnigen Florida ein paar Zehntausender
günstiger als in Deutschlang, wo er mindestens 149.047 Euro kostet. Hier
liegt er gerade einmal bei 139.050 Dollar – kaum mehr als 103.000 Euro.

Dort, wo Tenniskönigin Stefanie Graf lange Jahre ihren bevorzugten
Wohnsitz hatte, gehört ein Sportroadster wie der 63er SL noch zu den
zurückhaltenden Fahrzeugen. Ferrari, Lamborghini, Rolls Royce oder
Bentley sieht man hier in jeder zweiten Einfahrt. Zwei Insassen kann
man sich in dem schneeweißen Mercedes SL 63 AMG bestens vorstellen:
Sonny Crocket und Ricardo Tubbs aus Drogenfahnder der Miami Vice. Die
hätten die Replika des Ferrari Daytona oder den ebenfalls weißen Ferrari
Testarossa sicher mit Kusshand gegen den SL umgetauscht. Doch die
Serienhelden Don Johnson und Philipp Michael Thomas sind längst in Cop-
Rente. Das Schicksal teilen sie ganz nebenbei mit vielen Silverbirds, die in
Florida einfallen, wenn es am normalen Wohnort schlechtes Wetter hat.
Und welcher Silverbird würde sich auf der Weg zur Cheesecake Factory
von Fort Lauderdale keinen Mercedes SL 63 AMG wünschen? Man kann ja
nicht jede Fahrt mit der eigenen Yacht hinter dem Haus machen.

Quelle: Autoplenum, 2010-04-19