17. November 2011
Barcelona (Spanien), 17. November 2011 - Die BMW-Leute sind mutig. Und offensichtlich sehr überzeugt von ihrem jüngsten Spross. Sie lassen uns mit dem neuen 3er auf den "Circuit de Catalunya", den Formel-1-Kurs unweit von Barcelona. Michael Schumacher gewann dort sechs Mal den "Großen Preis von Spanien", der Sieger 2011 hieß Sebastian Vettel. Jetzt dürfen wir uns auf der Rennstrecke austoben - nicht etwa mit einem M3, sondern mit einem 320d. Sportfahrwerk, Schaltwippen und Sport-Modus versprühen zumindest einen Hauch von Motorsport-Atmosphäre. Aber die neue Mittelklasse-Limousine aus München schlägt sich tapfer auf dem Rundkurs.
"Keine Abstriche bei der Fahrdynamik"
Die Käufer erwarten heutzutage von einem 3er natürlich einen niedrigen Verbrauch. Aber Abstriche bei der Fahrdynamik möchten sie dafür nicht hinnehmen, erklärt uns BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Draeger. Entsprechend sportlich ist der 4,62 Meter lange Viertürer abgestimmt, dabei aber keineswegs unkomfortabel. Das adaptive Fahrwerk passt sich dem Fahrstil sowie dem jeweiligen Untergrund automatisch an. So lassen sich Kurven ohne permanenten Tritt aufs Bremspedal problemlos absolvieren, bei Geradeausfahrt rollt das Auto trotzdem nicht zu straff ab. Das für einen Hecktriebler typische Übersteuern wird vom ESP aufgefangen. Wer dennoch gerne das Heck tanzen lässt, kann die elektronischen Helferlein dank der Einstellungen "Sport" und "Sport+" spürbar später eingreifen lassen. Die elektromechanische Lenkung arbeitet präzise und reagiert je nach Einschlag direkter oder weniger direkt auf die Befehle des Fahrers. So wird das Handling der knapp 1,5 Tonnen schweren Limousine leicht gemacht.
Neun Zentimeter länger
Optisch bietet der 3er Neues und Bewährtes zugleich. In den Abmessungen hat er gegenüber dem Vorgänger deutlich zugelegt: neun Zentimeter länger, fünf Zentimeter mehr Radstand, dazu eine vorne um 37 Millimeter und hinten um 47 Millimeter breitere Spur. Vorne fallen vor allem die nun schmal an die ausgeprägte Doppelniere herangeführten Scheinwerfer auf. Wie gehabt sind die kurzen Überhänge und die nach vorne abfallende Motorhaube, die Rückleuchten erinnern an den großen Bruder 5er. Die A- und die C-Säule sind sehr schmal gehalten, was aber nicht zwangsläufig zu perfekter Rundumsicht für den Fahrer führt. Ein Plus gibt es auch beim Raumangebot des 3er: Der Kofferraum fasst mit 480 nun 20 Liter mehr als früher und befindet sich jetzt auf dem Niveau der Konkurrenten Mercedes C-Klasse (475 Liter) und Audi A4 (480 Liter). Im Fond des Mittelklasse-BMW finden die Insassen ansprechende Platzverhältnisse vor, 15 Millimeter mehr Beinfreiheit stehen hier zur Verfügung. Das hochwertig gestaltete Cockpit wartet mit klar ablesbaren Instrumenten, der markentypisch in Richtung Fahrer geneigten Mittelkonsole und dem bewährten Bedienkonzept mit iDrive-Controller und jetzt frei stehendem Monitor auf.
Nur noch ein Sechszylinder im Programm
Motorenseitig verabschiedet sich BMW Zug um Zug von seinen traditionellen Sechszylinder-Aggregaten. Im 3er besitzt zunächst nur der 335i mit 306 PS sechs Töpfe, ansonsten kommen aufgeladene Vierzylinder-Triebwerke zum Einsatz. Trotz deutlich reduziertem Verbrauch und gutem Durchzug lässt der 245 PS starke 328i den wohlbekannten BMW-Sechszylinder-Sound schmerzlich vermissen. Neben den beiden Benzinern stehen zum Marktstart mit dem 320d und dem 320d EfficientDynamics Edition zwei Diesel zur Wahl. Wir sind mit Ersterem unterwegs, dem 184-PS-Selbstzünder samt Automatik. Und haben Spaß dabei. Das Zweiliter-Aggregat kommt agil aus dem Drehzahlkeller und treibt das Fahrzeug stets dynamisch voran. 380 Newtonmeter Drehmoment sorgen für zügige Beschleunigung, nach 7,6 Sekunden ist aus dem Stand Tempo 100 erreicht. Der Vortrieb endet bei 230 km/h. Größtes Manko des Vierzylinder-Turbodiesels: Er ist recht laut und läuft rau. Der Achtgang-Automat kostet 2.260 Euro Aufpreis und wird für alle vier Motorisierungen angeboten. Die Gänge wechseln sanft und zügig. Häufig ist unser 320d mit nur knapp über 1.000 Umdrehungen unterwegs, ohne ins Schwächeln zu geraten. Ein wenig behäbig wird die Automatik unter Volllast: So gönnt sich das Getriebe bei jedem Kick-down eine Gedenksekunde. Zur Abhilfe empfiehlt sich die so genannte Sport-Automatic, die dank Schaltwippen am Lenkrad schnelle manuelle Gangwechsel erlaubt.
Immer dabei: Der Spritspar-Modus Eco Pro
Alle 3er-Modelle kommen serienmäßig mit Start-Stopp-System, Bremsrekuperation und Eco-Pro-Modus. Wird letzterer über einen Schalter in der Mittelkonsole aktiviert, verändert sich die Kennlinie des Gaspedals. Gleichzeitig werden Zusatzverbraucher wie Klimaanlage und Sitzheizung heruntergefahren. Außerdem zeigt der Bordcomputer in blauer Schrift, wie viele Mehr-Kilometer durch die Nutzung des Eco-Pro-Modus möglich sind. Bereits auf kurzen Strecken kommen einige Kilometer zusammen. Für den 320d Automatik gibt der Hersteller als Durchschnittsverbrauch 4,4 Liter an, das sind sogar 0,1 Liter weniger als mit Schaltgetriebe. Wer es noch sparsamer mag, muss zum 320d EfficientDynamics Edition greifen. Der bietet zwar "nur" 163 PS, stemmt aber ebenfalls 380 Newtonmeter auf die Kurbelwelle. Die Spritspar-Variante soll lediglich 4,1 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen und 109 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen. Weitere Motorvarianten sind bereits angekündigt: Diesel mit 116 und 143 PS sowie ein Benziner mit 184 PS sollen im Frühjahr 2012 folgen. Im Herbst gibt es dann erstmals eine Hybrid-Version des 3er: Der ActiveHybrid 3 kombiniert den 306 PS starken Sechszylinder-Benziner mit einem Elektroantrieb und kommt auf eine Systemleistung von satten 340 PS. Der Normverbrauch wird mit weniger als 6,4 Liter angegeben.
Erstmals feste Ausstattungslinien
Wie bereits für den neuen 1er bietet BMW künftig auch für den 3er erstmals feste Ausstattungslinien an: Die "Sport Line" mit schwarz-glänzenden Elementen außen und roten Akzenten innen soll junge, dynamische Käufer ansprechen. Wer es eher gediegen-elegant mag, für den bietet die "Luxury Line" gedeckte Farben sowie Chrom- und Holz-Applikationen. Die "Modern Line" greift auf Elemente aus dem Möbelbereich zurück. Dazu zählen ein helles Interieur und auf Wunsch Dekorflächen aus geriffeltem Holz. Alle drei Lines lassen sich mit verschiedenen Leichtmetallrädern und Lederausstattungen aufwerten. Darüber hinaus kann der 3er wie bisher unabhängig von Ausstattungslinien individuell konfiguriert werden. Immer mit an Bord sind 16-Zoll-Leichtmetallräder, ein Multifunktions-Lederlenkrad, eine Klimaautomatik, ein CD-Radio sowie rundum elektrische Fensterheber.
Assistenzsysteme - aber nur gegen Aufpreis
Einige aus 5er- und 7er-Reihe bekannte Assistenzsysteme halten nun auch Einzug in der Mittelklasse - etwa das großartige Head-up-Display, die Verkehrszeichenerkennung, der Totwinkel-, der Spurhalte- oder der Einpark-Assistent. Doch das alles lässt sich BMW sehr großzügig extra bezahlen. Ebenfalls zusätzlich in den Geldbeutel greifen muss, wer Xenon-Scheinwerfer, ein Navigationssystem, beheizte Sitze oder auch nur Parksensoren für hinten haben will. So dürfte kaum einer der neuen 3er für die 35.350 Euro über den Ladentisch gehen, die als Einstiegspreis für die beiden Diesel aufgerufen werden. Für die vergleichbaren Vorgängermodelle waren übrigens 1.050 Euro weniger fällig. Marktstart für die neue 3er Limousine ist am 11. Februar 2012. Die Touring genannte Kombiversion dürfte im Herbst folgen. Auf weitere Derivate wie Coupé, Cabrio und M3 müssen Fans bis mindestens 2013 warten.
Fazit
Viel Überraschendes bietet die Mittelklasse-Limousine aus München nicht. Das ist nicht negativ gemeint, denn wenn BMW sein volumenstärkstes Modell neu auflegt, ist die Erwartungshaltung entsprechend hoch. Beim Design verzichten die Bayern auf Experimente, das Ergebnis ist ein moderner Auftritt ohne Extravaganzen. Ansonsten wird vieles einfach etwas besser: Es gibt mehr Platz für Insassen und Gepäck. Die Motoren sind leistungsstark, aber angemessen sparsam. Dazu kommen technische Innovationen, die von den größeren Modellen nach unten wandern. Fahrspaß in gediegener, je nach Ausstattung auch in luxuriöser Atmosphäre, ist garantiert und Schwächen betreffen nur Details. So kommen wir nicht umhin, dem 3er das anzulasten, was sich die Premiummarken immer wieder anhören müssen: zu teuer, zu geringe Serienausstattung und sehr hochpreisige Extras. Also in der Tat: alles wie erwartet.