Ich habe den E 55 AMG ein Wochenende lang testen können und möchte einige Eindrücke schildern. Hierbei werde ich speziell auf die gehobenen Ansprüche, die an einen AMG nun mal gestellt werden dürfen, eingehen. Die Kritik an diesem Auto ist also lediglich "Meckern auf sehr hohem Niveau".
Fangen wir mit dem Positiven an:
Was das Platzangebot allgemein im E-Klasse T-Modell der letzten Generation angeht, fällt mir nur ein Wort ein: RIESIG. Und das gilt nicht nur für den Kofferraum, sondern auch für die Fondspassagiere (siehe Bilder), da kommt echtes S-Klasse-Feeling auf.
Ferner gibt es an Dingen wie Verarbeitung, Haptik, Funktionalität, Übersichtlichkeit, Sitzposition oder Materialien gar nichts, aber auch wirklich gar nichts auszusetzen. Alles feinste Mercedes-Qualität.
Beim Fahren des E 55 AMG fällt auf, dass der ungeheuer drehmomentstarke 8-Zylinder durch Kompressor-Aufladung mehr als nur gut motorisiert ist. Womöglich ist es der "Kompressor-Boost", der im Übrigen bis zu 800 Nm Drehmoment zur Verfügung stellt (das ist mehr, als beim 63er), der einem das fast schon unglaubliche "Ich werde in den Sitz gedrückt" - Gefühl vermittelt. Ein Zwei-Tonnen-Schlachtschiff schiebt derart nach vorne, dass man als Beifahrer mit Unterstützung der tollen V8-Soundkulisse beinahe das Gefühl hat, man sitzt im BMW M3, in einer Corvette oder in einem schnittigen RS-Modell von Audi. Ein Kombi als Siluette wirkt hier beinahe schon unnatürlich.
Was war negativ?
Leider für einen AMG eine ganze Menge. Wie oben erwähnt, das Auto geht sehr gut geradeaus, aber in Kurven wartet für alle Sportfahrer, die sich vom AMG sogar ein wenig Rennstrecken-Feeling versprechen, eine herbe Enttäuschung.
Natürlich hat er in Kurven mit seinem enormen Gewicht zu kämpfen und selbstverständlich ist das Fahrwerk nicht bretthart eingestellt. Trotzdem, für ein AMG-Geschoss mit fast 500 PS, zeigt der E 55 in Kurven sehr wenig Charakter.
Die Karosserie neigt sich sehr stark, die Lenkung wird für einen Hecktriebler erstaunlich nervös und verhärtet beim Lastwechsel gänzlich. Gewöhnliche fahrdynamische Mannöver (wie z.B. der bekannte Elchtest) werden mit dem E 55 AMG zum anstrengenden Pendeln am Grenzbereich. In engen Spitzkehren macht sich die Masse des Fahrzeug durch heftiges Untersteuern mehr als nur bemerkbar, das längst überholte ESP greift hart und unvermittelt ein. Die Traktionskontrolle blockiert die Gasannahme noch lange nachdem die Räder längst wieder Grip haben. Auf der Rennstrecke, für die ein T-Modell ja zugegeben nicht unbedingt gemacht ist, wäre dieses Fahrverhalten mehr als untauglich. Im allgemeinen spielt sich die Fahrdynamik des E 55ers immer zwischen Über- und Untersteuern ab. Wer nur mit Halbgas aus der Einfahrt fährt, den überholt das Heck, bis zu dem Punkt wo das ESP den Riegel vorschiebt und der Mercedes leicht quer versetzt mit der Elektronik um Grip verhandelt. Wer allerdings bergab ein wenig zu schnell ist, der bekommt zu spüren, dass er in einem Zwei-Tonnen-Kombi sitzt. Hier ist das rabiate ESP ab und an mal ganz hilfreich, um die Kurve noch in enger Linie fahren zu können.
Ein weiterer Kritikpunkt ist das Getriebe. Sicherlich war zum Zeitpunkt der Entwicklung ein Doppelkupplungs-Getriebe noch kein Oberklasse-Standard, jedoch gibt es schon ansprechendere Automatik-Getriebe. Der Name gefällt: "AMG-Speed-Shift" schimpft sich die Wandler-Automatik. Wer Ähnlichkeiten mit dem aktuellen E-Klasse-7G-Automatikgetriebe erwartet, liegt leider falsch. Die Gedenksekunde bei der Gasannahme ist weg, allerdings kommen zwei Gedenksekunden beim Hochschalten dazu. Die subjektiv nicht sehr ergonomisch platzlierten Schaltwippen werden betätigt, bis die nächste Fahrstufe eingelegt wird, vergehen gefühlte Ewigkeiten. Besonders störend ist, wenn das Auto im Automatik-Modus gefahren wird und sich das Gebtriebe durch Reduzieren der Geschwindigkeit zum Runterschalten veranlasst sieht. Von BMW, VW, Audi, Porsche und Co. wird man selbst bei Wandler-Automatiken mit Zwischengas, Drehzahlanpassung und weichem Runterschalten verwöhnt, Direktschalt- und Doppelkupplungsgetriebe machen es sogar schon unmerklich. Beim E 55 AMG prügelt die Automatik beim Runterschalten den Gang nur so rein, dass es dem Fahrer sogar einen kleinen Schlag ins Kreuz versetzt. Beat Shift wäre wohl passender, als Speed Shift.
Zusatz: Spaßfaktor
Was mir persönlich, den meisten Fahrern wohl eher nicht, sehr wichtig ist, ist der Funfaktor, den ein starker Hecktriebler nun mal so mit sich bringt.
Hierzu ist es dringend von Nöten, den "Spaßknopf" zu drücken. Bei Mercedes steht "ESP" drauf, aber nicht überall wo ESP drauf steht, ist auch ESP drin. Was wohl bei allen 55ern der für sportliche Fahrer schrecklichste Fall ist, der eintreten kann, ist ein ESP, dass sich nicht ganz abschalten lässt. Die Anzeige im Armaturenbrett leuchtet zwar, aber man ist nicht befreit von der wüst vorgehenden Fahrhilfe.
Driften ist im geringem Maße zwar möglich, allerdings äußerst witzlos, da der elektronische Anker in jedem Fall bei jedem noch so kleinen Driftwinkel nach einigen Sekunden fällt. Gefährlich wird es dann, wenn der E 55 plötzlich in voller Querfahrt wieder durch ESP-Eingriff unvermittelt Grip an der Hinterachse bekommt und während des "Slides" plötzlich wieder so richtig geradeaus geht. Im Straßenverkehr ist ja driften grundsätzlich zur Nachahmung nicht empfohlen, allerdings wird es selbst für Könner zum Glücksspiel, wann das ESP eingreift und den Drift unangenehm mit starken Wank- und Ruckelbewegungen beendet. Ist man hierbei nicht auf abgesperrten Gelände, könnte dies auch mit geschulten Händen am Lenkrad ein "Meet And Greet" mit der Leitplanke bedeuten.
Warum geht man beim ESP nicht konsequent vor? Entweder man kann es gar nicht abschalten, dann wird es auch niemals gefährlich. Oder man kann es ganz abschalten, dann können Freunde des Querfahrens gekonnte Drifts zaubern, ohne ständig Angst vor dem unsichtbaren Fahrlehrer haben zu müssen, der zu nicht verhersehbaren Zeiten bremst und in's Lenkrad greift.
Großes Defizit:
mit einem AMG sollte man eigentlich eine 6km lange Passstraße im schönen Allgäu sportlich rauf und sportlich wieder runter kommen, oder? Nicht mit diesem AMG. Die Bremsscheiben sind gelocht und pizzatellergroß. Trotzdem ist sie wohl mit dem Gewicht des E 55 T-Modells überfordert. Nachdem wir wieder unten waren kam die Warnmeldung "Bremse überhitzt, es steht nicht mehr die volle Bremswirkung zur Verfügung. Mäßig weiterfahren und vom Mercedes-Benz-Service prüfen lassen". Sowas darf auch bergab nicht passieren, auch nicht wenn man vorher 8 Kurven scharf angebremst hat.
FAZIT:
Das T-Modell des Mercedes E 55 AMG ist ein Auto, das mit seinem sahnigen V8-Kompressor, dem überdimensionalen Platzangebot und der perfekten Verarbeitung zum mittlerweile günstigen Top-Gebrauchten geworden ist.
Wer von diesem AMG sportliche Fahreigenschaften, die zu den sehr guten Fahrleistungen passen könnten, erwartet, dem steht eine Enttäuschung bevor. Fahrer mit sportlichem Anspruch bekommen zuviel Leistung für zu wenig Auto.