12. Mai 2016
Elba, 12. Mai 2016 -
Ich habe Gänsehaut - trotz strahlendem Sonnenschein und über 25 Grad. Seltsam? Sie würden es verstehen, schließlich liegen hinter mir etliche Kilometer völlig leerer Bergstraßen und ich sitze im wohl aufregendsten offenen Fahrzeug, das Porsche in den letzten Jahren neben dem 918 gebaut hat: dem Boxster Spyder. 375 PS aus einem frei saugenden Sechszylinder-Boxer treffen auf das Chassis des Boxster GTS und das Getriebe des Carrera S. "Aber das ist doch ein alter Hut" werden Sie jetzt sagen. "Aber ein verflucht nochmal perfekter, wunderschöner und atemberaubender Hut" würde ich dann entgegnen. An jenem schicksalhaften Tag im Januar 2016, an dem Porsche die Turbo-isierung von Boxster und Cayman verkündete und damit die Aufladungswelle unaufhaltsam über den Zuffenhausener Sportwagenhersteller hereinbrach, war klar: Ich muss Abschied nehmen. Vom Sauger, vom Sechszylinder und von allem, wovon ich seit Kindesbeinen beim Gedanken an Porsche geträumt habe. Begleiten Sie mich auf meine persönliche Abschiedstournee mit dem Porsche Boxster Spyder. Sommer, Sonne - und ein paar Tränchen.
Sechszylinder gegen die Nachtruhe
Doch von Anfang an: Es ist vier Uhr morgens und nur die unglaubliche Müdigkeit hält mich davon ab, meinen Wecker aus purer Verzweiflung an die Wand zu werfen. Zwei Kaffee später weicht der Zorn endlich großer Vorfreude, schließlich geht es heute auf einen zehntägigen Roadtrip mit dem ultimativen Boxster. Also raus aus den Federn und rein in die tiefen Carbon-Schalensitze des Spyder. Eine Zündschlüssel-Umdrehung später sehe ich in Gedanken schon die gesamte Nachbarschaft mit brennenden Mistgabeln die Verfolgung aufnehmen. Der Motor erwacht heiser bellend, doch die Nachbarn schlafen weiter - Glück gehabt. Wir - meine Freundin Karina und ich - machen uns langsam auf den Weg von München in Richtung Bodensee, wo wir eine Handvoll weiterer PS-Verrückter aufsammeln, die uns heute auf über 1.000 Kilometer von der Schweiz bis ans Mittelmeer begleiten.
Ein langer Weg
Die Autobahnen sind sehr leer um halb fünf Uhr morgens, ab und zu schleicht ein LKW wie eine gigantische Schnecke auf der rechten Spur aus der Dunkelheit in unseren Lichtkegel und verschwindet wieder. Irgendwann - es ist noch viel zu früh, um sich an Details zu erinnern - passieren wir erst die Österreichische und kurz darauf auch die Schweizer Grenze. Bunte Autobahn-Vignetten als stille Zeugen an der Windschutzscheibe. Auf dem Parkplatz eines noch geschlossenen Fast-Food-Restaurants treffen wir auf den Rest der Gruppe. Ein paar müde Handschläge später geht es los. Erstes Etappenziel: Der Berninapass, schon in vorhistorischer Zeit eine wichtige Verbindung über die Alpen. Unzählbar viele Haarnadelkurven und zu dieser Jahreszeit noch ordentlich Schnee neben der Straße. Laut diversen Reiseführern eine der schönsten Alpenrouten der Schweiz. Auf 2.309 Meter über dem Meer steht das "Ospizio Bernina" - ein Berg-Gasthaus von mittelalterlicher Schönheit in mitten einer sehr stillen Bergwelt. Von dort aus geht es runter nach Italien, vorbei an Bergamo, Verona, Modena, Bologna und Florenz schließlich nach Piombino. Nach der langen Reise und den vielen Stunden eintöniger Autobahnfahrt tut mir der Boxster fast leid. Das ist es nicht, was ich ihm zum Abschied versprochen hatte. Doch das gelobte Land ist nah, die Fähre nach Elba trudelt gerade fleißig rauchend in den Industriehafen von Piombino ein.
Autofahrer-Paradies Elba
Elba: die drittgrößte Insel Italiens liegt östlich der Nordspitze Korsikas und erlangte vor allem als erstes Exil Napoleons Bekanntheit. Jetzt, im Mai, ist die Insel ganz in der Hand der rund 30.000 Einheimischen. Der Tourismus brummt hier nur im Sommer so richtig, wenn zehntausende Italiener in den großen Ferien die vielen kleinen Dörfer belagern. Aber was macht Elba dann so interessant, dass wir über zwölf Stunden auf eine mehr oder weniger ausgestorbene Insel fahren? Es sind die Straßen. 147 Kilometer Küstenlänge und 227 Quadratkilometer Fläche bieten Platz für einige der schönsten Asphaltstücke Italiens. Das Besondere ist die Vielfalt: Kurven, die sich am Westufer an steile Felshänge schmieden, sich im Inland unaufhörlich durch dichten Pinienwald schlängeln oder an der Nordküste an wunderschönen Sandstränden entlang führen - hier findet jeder sein persönliches Fahr-Paradies.
Der Tankwart - mein bester Freund
Die Sonne lacht, der Tankwart auch. Kaum rolle ich auf den Vorhof der kleinen Tankstelle, stürmt ein braun gebrannter Mittzwanziger aus seinem Kassenhäuschen. "Bella Macchina. Wie viel PS? Sechs Zylinder? Traumhaft. Volltanken?" "375, richtig, da haben Sie recht und ja - volltanken bitte". Es wird nicht die letzte Begegnung mit dem Mann sein, der hier auf Elba unser Grundbedürfnis nach fossilem Brennstoff deckt. Einmal begegnet er uns auch auf der Straße. Wild schaukelnd fliegt sein rostiger Fiat Panda durch die Kurven. Die linke Hand winkt dabei aus dem Fenster. Die Spinnen, die Römer.
Auto-Enthusiasmus in Italien
Aber nicht nur der Tankwart freut sich über die Begegnung mit dem Boxster Spyder. Schulkinder bejubeln besonders oft den heiser röhrenden Porsche. Schuld daran? Wahrscheinlich neben einem schweren Gasfuß auch die Klappenauspuffanlage, die dem Sechszylinder-Boxer Töne entlockt, von denen der neue downgesizte Turbo-718 nur träumen kann. Mühsam ausgegrabene Vierzylinder-Tradition bei Porsche hin oder her: Wir können nur hoffen, dass der Sechszylinder-Sauger noch das ein oder andere Sondermodell befeuert. Denn wenn man abends in die Dorf-Pizzeria kommt, der Pizzabäcker einen mit den Worten "Brumm brumm" und seinem breitesten Grinsen empfängt, dann ist die Welt einfach in Ordnung.
Ein reines Fahrerlebnis
Das perfekte Abschiedskonzert gibt der Boxster Spyder auf der Westseite der Insel. Auf über 50 Kilometer schmiegt sich die Küstenstraße dort an die hellen Felsen der schroffen Steilküste. Biegung um Biegung kurvt sich der Mittelmotor-Sportler dort direkt in mein Herz. Das sehr knackige Getriebe und die brettharte Kupplung würden selbst den flammendsten PDK-Jünger sofort konvertieren lassen. Und dieser Sound. Der Klang des Sechszylinders wird von den Felswänden zurück in das offene Cockpit geworfen und sorgt zusammen mit dem metallisch einrastenden Getriebe für eine unglaubliche Geräuschkulisse. Als Zugabe setzt der Boxster bei jedem Runterschalten mit automatischen Zwischengas noch einen drauf. Man möchte gar nicht mehr aufhören. Kurve um Kurve, Schaltvorgang um Schaltvorgang scheint der Spyder mir einzutrichtern: Das habt ihr jetzt von eurem Downsizing, besser wird es nicht mehr. Er hat wohl recht. Als ich den Spyder nach zehn Tagen und über 2.500 Kilometern übersät mit toten Insekten, Sand und Blütenstaub wieder abgebe, sieht er zufrieden aus. Ich bin es auch. Der Abschied fällt schwer.