Mercedes GL 350 Bluetec: Das Beinahe-Wohnmobil im US-Test
In den USA beinahe unauffällig Der GL ist riesig - in unseren Augen. Auf dem Highway fällt er zwischen einem Toyota Highlander und einem Nissan Armada nicht weiter auf, fügt sich gut ins Straßenbild ein. Ein großer Chrom-Stern stellt sich in die Luft, gefolgt von einer mittellangen Haube mit Entlüftungs-Öffnungen. Die Platzvorräte der Kabine sind schon von außen an dem kastigen Aufbau zu erkennen. Irgendwie ist der GL einer der am unauffälligsten designten Mercedesse, was bei einem Wagen dieser Größe ganz gut passt.
Qualität extrem Innen verdient sich der GL das Prädikat "oppulent". Das gilt sowohl für die Qualität von Material und Ausstattung als auch fürs Platzangebot. Helles Leder macht den Innenraum freundlich, Echtholzeinlagen unterscheiden den Wagen signifikant von den oben erwähnten SUV-Konkurrenten. Hochwertigkeit prallt in den USA auf die grundsätzlich etwas anspruchsloser gestalteten Innenraume amerikanischer Wagen, die bereits nach einem halben Jahr schäbig aussehen - wer einen älteren Lincoln Navigator oder Cadillac Escalade von innen kennt, weiß, wie dort die Verrottung im Zeitraffer-Tempo voranschreitet. Der Mann, der unseren Wagen nach der Wäsche mit einem Dutzend Handtüchern abtrocknet, fragt uns, warum so ein Wagen 80.000 Dollar kostet. Ganz klar: Der GL ist ein Oberklasse-Fahrzeug. Unser Wäscher meint, seine Nachbarn hätten auch so einen.
Open Land Bein- und Kopffreiheit hält der GL vorne wie hinten in ausreichendem Maße bereit, selbst die elektrisch ausklappbare dritte Sitzreihe ist mehr als nur der oft übliche Witz - hier halten es auch Erwachsene aus. Sowohl die zweite als auch die dritte Sitzbank lassen sich umlegen, wobei die dritte Reihe zum topfebenen Kofferraumboden wird. Die Zweite bildet eine ganz leicht geneigte schiefe Ebene. Sind die Rücklehnen gefallen, breitet sich vor dem Betrachter ein unfassbar weites Ladeland aus. Der Wagen wirkt bei geöffneter Kofferraumklappe als hätte man ein Airstream-Wohnmobil in der Mitte durchgesägt. Und in der Tat: Das Raumangebot im Heckabteil ist gigantisch: 620 Liter bei fünf Sitzplätzen, 2.300 Liter, wenn auch die zweite Reihe liegt.
Für die richtig lange Strecke In Sachen Sitzkomfort macht dem GL niemand was vor: Das Gestühl in erster und zweiter Reihe schont auch auf wochenlangen Fahrten Gesäß und Rücken. Genau mit der richtigen Festigkeit wird sämtlichen Ermüdungserscheinungen vorgebeugt. Sportlichkeit darf man hier nicht erwarten: Seitenhalt ist für die Beine gar nicht drin und für den Rücken nur mäßig. Aber wenn man in so einem Auto den Seitenhalt braucht, muss man ohnehin seine Fahrweise überdenken. Die Wachturm-ähnliche Sitzposition hat zum einen eine gute Übersicht im Verkehr zur Folge, andererseits zieht sie eine hohe Ladekante am Heck des Wagens nach sich. Dafür gibt es keine Ladeschwelle und der hintere Stoßfänger ist vor Kofferkratzern durch eine Platte aus echtem Edelstahl geschützt.
Mit Diesel unterwegs Ein Dieselmotor, der nicht in einem der Eighteen Wheeler Trucks grummelt, das ist in den USA noch nicht allzu verbreitet. Und auch hier musste erst mal das Henne-Ei-Problem gelöst werden, was wir hierzulande mit den Elektroautos haben: Die Technologie kann nur erfolgreich sein, wenn es genügend Tankstellen gibt. Noch 2008 mussten wir teilweise recht lange nach einer Diesel-Zapfsäule suchen. Und wenn wir eine gefunden hatten, dann war das ein ölstarrendes schrottreifes Ding auf der Rückseite des Kassenhäuschens. Dazu gab es auch noch gepfefferte Preise - Diesel war der mit Abstand teuerste Kraftstoff, kostete teilweise umgerechnet 80 Euro Cent pro Liter. Hier hat sich in kurzer Zeit enorm viel getan.
Viele Diesel-Zapfstellen, Preise runter Die Zahl der Tankstellen, die Diesel führen, scheint explosionsartig zu steigen. Neue Zapfsäulen lächeln uns an - und wir lächeln zurück: Diesel ist beinahe zur billigsten Kraftstoffsorte geworden. Im Yucca Valley tanken wir für 2,899 Dollar pro Gallone, was 54 Euro Cent pro Liter entspricht. Nur 87-Oktan-Benzin ist mit 2,859 Dollar aus US-Sicht minimal günstiger - umgerechnet landen wir auch hier bei 54 Cent. Benzin mit 89 Oktan kostet 55 Cent und für 91 Oktan werden 57 Cent fällig. Da aber noch nicht alle Tankstellen Diesel im Angebot haben, muss man immer noch die richtige Tanke finden. Dabei helfen zum einen unzählige Schilder: Die "Gas-Exits", so heißen die Highway-Abfahrten zu den Tankstellen, sind mit dem Schriftzug "Diesel" gekennzeichnet, wenn der Selbstzünder-Saft verfügbar ist. Oder beim Zapfsäulen-Symbolschild trägt die Säule ein dickes "D" auf dem Bauch. Und wir können keine Diesel-Quelle verfehlen: Unser Comand-System hilft uns dabei. Zum einen werden in der Karte alle Diesel-Tankstellen gekennzeichnet, zum anderen lässt sich bequem nach eben diesen Tankstellen suchen. Ganz nebenbei: Viele Orte lassen sich im Navi auch einfach über das Eingeben der Telefonnummer finden - ein tolles Feature, welches in Deutschland nicht freigeschaltet ist.
Mit sechs sauberen Zylindern Den Diesel gibt in unserem Wagen ein Sechszylinder-Bluetec-Motor mit 3,0 Liter Hubraum - für amerikanische Verhältnisse ein kleines Aggregat. Und auch hierzulande gibt es einen 4,0-Liter-V8-Diesel mit 306 PS oder gar einen 5,5-Liter-V8-Benziner mit 388 PS für den GL. Wir sind mit 211 PS unterwegs. Und wir vermissen nichts: Das Euro-6-Triebwerk hat mit dem schweren Wagen keine Probleme, wir kommen gut weg vom Fleck: in 9,6 Sekunden sind wir von null auf 100 km/h, 540 Newtonmeter Drehmoment zwischen 1.600 und 2.400 U/min wirken intensiv. Die höheren Motorisierungen machen den Wagen sicher spritziger, aber unser "kleiner" Diesel passt - schließlich kann ein Elefant auch nicht springen. Als Höchstgeschwindigkeit sind 210 km/h drin, was wir nicht ausprobieren - schließlich würden wir für diese auf der deutschen Autobahn legale Geschwindigkeit in den USA ins Gefängnis wandern, ohne über Los zu gehen. Damit der Diesel-Antrieb für Pkws in den USA eine Chance hat, muss er sauber sein - spätestens ein Blick in die Dauerdunstglocke über L.A. überzeugt da so ziemlich jeden. So wird beim GL 350 Bluetec durch Harnstoff-Injektionen in den Abgasstrang der Stickoxid-Ausstoß um 80 Prozent reduziert. Das allein würde aber nichts bringen, wenn wir zuviel Treibstoff verbrauchen würden.
Besser als angegeben Die Amerikaner geben den Verbrauch in Meilen pro Gallone an. So soll der GL 350 Bluetec laut Herstellerangaben in der Stadt mit einer Gallone Diesel 17 Meilen weit kommen, was 13,8 Liter pro 100 Kilometer entspricht. Auf der Autobahn sollen 10,2 Liter fällig sein und kombiniert 12,4. Das klingt nach ambitionierten Werten. Für den Highway bekommen wir nach stundenlanger Tempomat-Fahrt 9,0 Liter hin - allerdings musste auch die Klimaanlage den Buss-ähnlichen Innenraum runterkühlen. Trotzdem unterbieten wir den US-Normwert. Aber nach europäischem Fahrzyklus sollen dem Wagen auf der Autobahn 7,5 Liter reichen, in der Stadt sind 12,2 Liter gefragt und kombiniert werden 9,3 Liter aufgerufen. Den Autobahnwert überbieten wir, aber in der Stadt kommen bei uns 11,2 Liter zusammen - ein Liter unter der europäischen Herstellerangabe. Und wir sind nicht in irgendeiner Stadt unterwegs: San Francisco mit seinen heftigen Steigungen und den dazugehörigen nervenden Stoppschildern ist ganz sicher kein Spritspar-Paradies. Für ein SUV mit über 2,5 Tonnen Lebendgewicht sind diese Verbräuche beinahe sensationell gering.
Perfekt abgestimmt Eine Siebengang-Automatik kümmert sich im GL serienmäßig ums Schalten. Und sie kümmert sich gut: Nicht einmal ruckelt das Zahnradwerk, kein Verschalten, keine Suche nach dem richtigen Gang reißt uns aus unserem Schwebezustand. Auch auf San Franciscos steilen Straßen oder der ausgelutschten Offroadpiste neben der Eisenbahnlinie verliert die Automatik nicht ihre Souveränität. Zudem könnten wir über manuelle Schaltwippen ins Geschehen eingreifen. Aber so, wie wir den Wagen kennen gelernt haben, sind die Paddles nicht für eine sportliche Gangart da, sondern helfen eher als Motorbremse im Gebirge - wirklich gebraucht haben wir sie nicht.
Endlos Schweben 2,5 Tonnen wiegt unser stattlicher Wagen - 2,5 Tonnen, die auf Luft gebettet sind. Das "Airmatic" genannte Luftfahrwerk ist Serie und hält die Risse im Asphalt von uns fern. Ist auch noch der Tempomat eingeschaltet, schweben wir sanft dahin, als wären wir in einem Heißluft-Ballon unterwegs. Nur ausgewachsene Schlaglöcher oder Erdkuhlen im Gelände holen uns in die Wirklichkeit zurück, lassen die Räder leicht nach unten rumpeln - die erträgliche Kehrseite von einer Luftfederung in Kombination mit den auf dem US-Markt serienmäßigen 20-Zoll-Reifen (in Deutschland 18 Zoll). Und als wir mal eine ziemlich ausgewaschene Offroad-Strecke ausprobieren, um an die Bahngleise der Santa Fe Railway zu gelangen, fahren wir das Fahrwerk auf Knopfdruck um sechs Zentimeter nach oben. Hier spüren wir auch die Geländefähigkeiten des Allrad-SUVs, befahren eine Strecke, die sonst Pick-ups vorbehalten ist, die noch einen halben Meter höher liegen als wir.
Automatisch runter Bei Geschwindigkeiten über 90 km/h wird der Wagen aus dem Normalniveau um 1,5 Zentimeter abgesenkt. Dies kommt auch dem Kurvenverhalten zugute: Der Dicke wankt weniger als erwartet - aber er wankt. Wir sind hier wirklich nicht in einem Wagen unterwegs, der irgendwie sportlich sein will. Das passt und ist ehrlich. Zum Stillstand kommt der GL, als wäre er gefühlt eine Tonne leichter: Kräftig aber nicht brutal ruppig werden die Bremsscheiben gegriffen und bringen den Koloss auf kurzem Wege zum Stehen. Ebenso zufrieden sind wir mit der Lenkung: Nie zu weich oder zu hart, sondern genau richtig können wir mit ihr den Wagen präzise um die Biege führen. Und im gewundenen Teil der Lombard Street in San Francisco wissen wir eine gute Lenkung zu schätzen - viel größer dürfte ein Wagen, der hier herunterfährt, kaum sein.
Antrieb: | Allradantrieb permanent |
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Anzahl Gänge: | 7 |
Getriebe: | Automatik |
Motor Bauart: | Turbo-Diesel |
Hubraum: | 2.987 |
Anzahl Ventile: | 4 |
Anzahl Zylinder: | 6 |
Leistung: | 155 kW (211 PS) bei UPM |
Drehmoment: | 540 Nm bei 1.600-2.400 UPM |
Als Fazit für die USA bringen wir die Erkenntnis mit, dass das Interesse an Diesel-Fahrzeugen dort drüben ganz gewaltig gestiegen ist und dass es inzwischen kein Problem mehr sein dürfte, nahezu überall an den günstig gewordenen Kraftstoff zu kommen.
Der Diesel scheint "In" zu sein: Günter aus Bremerhaven will vor Ungeduld seinen alten W123 Diesel aus der Garage holen. Und in L.A. sehen wir auf den Freeways häufig Kombis aus Stuttgart mit der Chrom-Aufschrift "Turbo Diesel" - der legendäre W123T aus den 70ern ist gerade wieder schick.
Quelle: auto-news, 2010-01-25
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