Autonomes Fahren im neuen A8 - Basis-Demokratie
"Ein Stau, da lacht das Entwicklerherz", strahlt Simon Ulbrich, technischer Projektleiter Staupilot bei Audi. Der Techniker nimmt die Hände vom Lenkrad, drückt genüsslich auf den großen chromglitzernden Knopf in der Mittelkonsole. "AI" steht auf dem Button. "AI" steht gemeinhin auch für "Artificial Intelligence" also auch künstliche Intelligenz. Jetzt hat das Auto das Heft des Handelns in der Hand, Simon Ulbrich spielt einen Film in der Mittelkonsole ab, während der Audi A8 geschmeidig mit der Blechkolonne weiterbewegt: Bis zu 60 km/h schafft der Audi-Staupilot, dann muss der Fahrer wieder die Geschicke in die Hand nehmen.
Momentan sind es rund 15 km/h. Der Robo-A8 fährt leicht nach links versetzt, um nötigenfalls eine Rettungsgasse zu bilden. Jetzt löst sich der Stau langsam auf. Der Audi reagiert, wie ein erfahrener Straßenverkehrs-Veteran und erhöht langsam, aber geschmeidig die Geschwindigkeit. Auch das Bremsen läuft progressiv ab, das Kopfnicken früherer Tage ist vorbei, ebenso, wie das leichte Schlingern zwischen den Fahrbahn-Markierungen. Ähnlich wie die Mercedes-S-Klasse sehen die Sensoren des Audi A8 unter den Vordermann hindurch und erkennen frühzeitig, wenn die Blechkolonne Fahrt aufnimmt, kann dementsprechend beschleunigen und entspannt mitschwimmen. Mittlerweile sind die 60 km/h erreicht der Audi hält wacker mit, aber der Stau hat sich vollends aufgelöst und das vorausfahrende Fahrzeug entfernt sich zunehmend. Jetzt ist es an der Zeit, wieder selbst das Kommando zu übernehmen: Eine Meldung in den Rundinstrumenten, dem Head-Up-Display und ein Piepston weisen den Fahrer darauf hin, dass er wieder an der Reihe ist.
Was passiert, wenn man dieser Aufforderung nicht nachkommt, durften wir am eigenen Leib erfahren, als wir den Audi A8 selbst fuhren: Eine ganze Reihe von Maßnahmen machen den Lenker mit steigender Intensität auf seine Pflicht aufmerksam. Das geht sogar so weit, dass ein lauter Ton, unterstützt von ruckartigem Bremsen und einem heftigen Zerren des Gurtstraffers den Fahrer wachrüttelt. Hilft alles nichts, geht die Software davon aus, der Mensch das Bewusstsein verloren hat, der Audi A8 bleibt stehen, die Warnblinkanlage geht an und die Türen entriegeln sich.
Eine Fahrerüberwachungskamera hat dazu den Fahrer ständig im Visier. Generell ist der Audi A8 mit allen möglichen Sensoren ausgestattet, die einen Beobachtungs-Kokon um das Fahrzeug legen: Radar mit mittlerer und langer Reichweite, Kameras und erstmals ein Laserscanner, der sich mittig unter dem Nummernschild befindet und den Bereich vor dem Auto in einem Winkel von 140 Grad abtastet. "Dieser Scanner ist extrem wichtig für das autonome Fahren Level drei, weil er sehr genau Objekte lokalisiert", erklärt Simon Ulbrich. Die Rechenpower, die benötigt wird, um diese ganzen Daten zu verarbeiten und richtig zu deuten ist immens. Das zFAS (zentrales Fahrerassistenzsteuergerät) hat mehr Rechenkraft als alle Steuergeräte des Vorgängers, der alles andere als ein technischer Neandertaler war, zusammen. Schließlich muss der Audi A8 auch erkennen, wenn die Autobahn beziehungsweise die baulich getrennten Fahrbahnen zu Ende sind und der Stau-Assistent nicht mehr aktivierbar sein darf.
Doch was geschieht, wenn ein System einmal schlappmacht oder verschiedene widersprüchliche Meldungen von den Sensoren kommen? Auch auf diese zentralen Fragen weiß Audi eine Antwort. "Das Auto braucht ein Selbstbewusstsein. Im eigentlichen Sinne", sagt Simon Ulbrich. Heißt: Ein System muss merken, wenn etwas nicht stimmt und Ersatz bereitstellen, damit die Sicherheit der Passagiere gewährleistet ist. Fällt zum Beispiel der Bremskraftverstärker aus, übernimmt das ESP; das ja ohnehin mit Bremseingriffen tätig ist, Teile der Aufgaben. Selbst wenn der Dirigent zFAS, also das Hirn hinter den autonomen Fahrfunktionen, den Taktstock aus der Hand legt, arbeiten die anderen Systeme zusammen, um den Audi während der Übergabezeit an den Fahrer (bis zu zehn Sekunden) autonom in der Spur zu halten. Damit diese Sicherheit gewährleistet ist, herrscht ein steter Abgleich zwischen den Systemen, ob die Daten stimmen. "Kreuz-Plausibilisierung" nennt Simon Ulbrich das und erklärt das Prinzip der Redundanzen, die unabdingbar für das autonome Fahren sind: "Letztendlich kaufen sie einen A8 aber technisch haben Sie zwei." Bei widersprüchlichen Meldungen verschiedener Sensoren, mutiert der Audi A8 zum Basis-Demokraten, dann gewinnt immer die Mehrheit, aber grundsätzlich steht die Sicherheit der Menschen an oberster Stelle.
Bis der Audi A8 sein ganzes autonomes Potential ausspielen darf, wird aber noch etwas Zeit vergehen. Bislang hat der Gesetzgeber keinen Rahmen für das autonome Fahren Level drei vorgegeben, schließlich wird der A8 nicht nur in Deutschland verkauft. Noch begrenzt zum Beispiel eine Lenkungsvorschrift UNR 79 (kommt von der UN) das autonome Agieren auf zehn km/h (wie beim Einparkassistenten). Momentan wird über eine Erhöhung der Geschwindigkeit auf 130 km/h verhandelt. Dann ist das noch das Straßenverkehrsrecht. Da hat Deutschland eine Vorreiterrolle, und hat seit März dieses Jahres die Parameter für autonomes Fahren der Level drei und vier definiert. Andere Länder, wie Österreich, die Schweiz oder Spanien wollen eventuell nachziehen.
Quelle: Autoplenum, 2017-08-30
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