23. November 2011
Santa Monica (USA), 23. November 2011 - Uns umgibt Flechtwerk. Extrem leichtes Flechtwerk. Wir cruisen in einem Lamborghini LP570-4 Superleggera die Küste entlang. Alles ist extrem entspannt, bis wir dem Gaspedal einen Schock versetzen. Und obwohl es mit diesem Wagen gar nicht geht, versuchen wir uns an der am US-Highway lauernden Polizei vorbei zu schleichen.
Karbon-Schnitte
Seinen zweiten Vornamen "Superleggera" verdient sich unser Gallardo wegen seines Hangs zum Abspecken. Großzügig eingesetztes Karbon verdrängt an vielen Orten das Heavy Metal. Seitenschweller, Heckschweller und der schicke Heckspoiler werden aus dem Kohlefaser-Werkstoff gebacken. Die Motorhaube am Heck besteht aus einem großen Polycarbonat-Fenster, dessen Rahmen wiederum das typische Karbonflechtmuster zeigt. Die Abgase des Italieners werden über zwei mattschwarz rechts und links aus dem Heck ragende Doppelendrohre entsorgt. Und ach ja: Die schnittigen Außenspiegel-Kappen bestehen ebenfalls aus - Sie wissen es. Am Ende kommt eine Gewichtsersparnis von 70 Kilogramm und ein Gesamtgewicht von 1.415 Kilogramm heraus.
Kein Entrinnen
Wer einen Lambo fährt, muss wenigstens ein bisschen extrovertiert sein. Der Gallardo Superleggera erfüllt mehr als nur die Grundbedürfnisse eines qualifizierten Posers. Sich mal dezent an einer Polizeistreife vorbeidrücken ist nicht drin - man wird definitiv bemerkt. Da das Abtauchen in der Menge weder optisch noch klanglich möglich ist, halten wir uns immer schön an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Das für den Fahrer Angenehme: Im Gegensatz zu Deutschland sind die USA so ein Kein-Neid-Gebiet. Wenn von außen Emotionen herüberkommen, dann positive. Und damit jeder Bescheid weiß, prangt rechts und links auf den Türen der Schriftzug "Superleggera" - wer bei einem Lamborghini Zurückhaltung sucht, hat die Marke nicht verstanden.
Leichte Flut
Das Lenkrad ist schön klein, griffig und besteht wiederum aus Karbon - genauso wie die Türfüllungen und der dicke Handbremsgriff. Die Schaltpaddels drehen sich beim Lenken nicht mit, das ist beim Gallardo genauso wie bei seinem großen Bruder Aventador. Das dünne Sportgestühl passt auch für längere Touren - allerdings sollten die beiden Insassen jeweils nicht viel größer als 1,88 Meter sein. Für ein italienisches Authentizitäts-Feeling sorgen die drei kleinen Rundinstrumente am oberen Ende des Mitteltunnels. Hier werden der Öldruck "press olio", die Öltemperatur "temp olio" und der Batterie-Ladestand "batteria" angezeigt. Bei den Hauptinstrumenten geht es weiter mit der Kühlwasser-Temperatur "aqua", dem Drehzahlmesser "giri x 1.000" und der Tankanzeige "benzina". In der Karbon-Mittelkonsole warten schicke Knöpfe auf uns - und einen schicken Knopf drücken wir viel lieber als irgendeinen Knopf. Beim Blick nach innen erkennen wir eine extrem saubere Verarbeitung, beim Blick nach draußen sehen wir den stylischen Heckspoiler im Rückspiegel und die mit Surferinnen beladenen Jeep Wrangler von unten.
Auf See
Das Fahrwerk unseres Gallardo Superleggera ist natürlich knochenhart. Dies bedingt in Kombination mit dem geringen Gewicht und der tadellosen Lenkung eine großartige Kurven-Agilität. Dabei verhält sich das Fahrzeug mit einer Gewichtsverteilung von 43 zu 57 Prozent zwischen vorne und hinten sowie Allradantrieb neutral. Allerdings: Die über die Jahre von bremsenden Lkws vor Kreuzungen in den Asphalt geschobenen Wellen machen uns fast seekrank - der Untergrund wird eins zu eins an die Insassen weitergereicht. Und das Bremspedal wartet auf einen kräftigen Tritt - dann beißen die Zangen mit maulkorbfreier Gnadenlosigkeit zu.
Auf Wunsch cholerisch
Ja, der Gallardo Superleggera ist mit seinen 570 PS und seinem Allradantrieb auch zum Cruisen geeignet. Beim Anlassen brüllt er kurz auf, dann aber ist er auch für eine ruhig knurrende Fahrweise zu haben. Ballern wir jedoch das Gaspedal runter, haut der leichte Wagen wie irre weg. Wir sind sofort eins mit dem Gallardo und lassen ihn je nach unserer Gemütslage ruhig oder cholerisch arbeiten. In 3,4 Sekunden sind Tempo 100 erreicht, die 200-km/h-Marke wird nach 10,2 Sekunden von der Tachonadel erreicht. Die Höchstgeschwindigkeit ist bei nicht gerade selbstverständlichen 325 km/h erspurtet. Während des Rasens rollt sich rund um uns herum ein aggressiver Klangteppich aus. Die Top-Performance schlägt sich im Verbrauch nieder: Gemäß Werksangabe wird ein Durchschnittsverbrauch von 13,5 Liter Super plus pro 100 Kilometer aufgerufen. Beim Crusien kommen wir laut Bordcomputer pro Gallone 29,3 Meilen weit, was einem Verbrauch von 8,0 Liter pro 100 Kilometer entspricht.
Rückwärtsgang versteckt
Geschaltet wird im Gallardo LP570-4 Superleggera mit einem automatisierten Sechsgang-Schaltgetriebe. Automatisierte Schaltgetriebe gelten gemeinhin als schlimm, weil unharmonisch. Aber im Gallardo geht das System deutlich sanfter zu Werke als im knalligen Aventador - dessen Getriebe allerdings wiederum gut zu ihm passt. Der kleine Superleggera ist wie sein großer Bruder ein Supersportwagen und darf deshalb mit einer ruppigen Schaltung arbeiten. Die Technik macht ihre Sache gut, wir waren zu keinem Zeitpunkt genervt. Und wer rückwärts fahren möchte, muss sich ein bisschen auskennen: Der Knopf für den Rückwärtsgang sitzt mutterseelenallein weit links neben dem Lenkrad im unteren Bereich des Armaturenbretts.